Oh Happy Dates
dann wird man kritisiert. Es gibt Regisseure, die nur die Peitsche kennen. Ein solcher Regisseur würde beispielsweise sagen: »Nein, nein, nein, das war der Inbegriff von Schwachsinn, ich hielt mir die meiste
Zeit die Ohren zu, mach es so.« Ein Zuckerbrot-und-Peitsche-Regisseur würde sagen: »Das war wunderbar. Was dich zu so einer bemerkenswerten Schauspielerin macht, ist deine emotionale Ehrlichkeit. Die würde ich gern noch mal sehen, aber ohne den walisischen Akzent und das Hinken, wenn es dir nichts ausmacht, Schätzchen.«
Ich bin fast ein wenig verknallt in Tristan. Er ist wunderbar groß und zerzaust. Er trägt Schuhe, die bald auseinanderfallen und seinem Großvater gehört haben. Ständig sucht er den Boden ab nach einem Zehner, den er verloren hat. Jedes Mal, wenn er in seinen Taschen nach etwas kramt, flattern alte Quittungen und Taschentücher heraus. Er schleppt ständig ein eselsohriges Buch von E. M. Forster mit sich herum, weil er sich dafür begeistert, was Forster über die Liebe schreibt. Seine Seele erinnert mich an ein faszinierend schönes baufälliges Schloss an der kornischen Küste, in dem Dichter leben und Kinder spielen. Er ist erst dreiundzwanzig und kriegt seine Weisheitszähne. Er ist so jung, dass er zahnt.
»Darf ich dich was fragen, Sarah?«
»Natürlich, Tristan.«
»Warst du schon mal eine Domina?«
»Äh, nein. Warum?«
»Es ist nur, du hast wirklich ein Händchen für diese Figur. Du machst das ganz großartig.«
»Danke.«
Ich höre meinen Bros-Klingelton und sehe meine in der Ecke des Proberaums vibrierende Handtasche.
»Entschuldige, Tristan. Ich dachte, ich hätte es abgeschaltet«, sage ich und laufe zu meiner Tasche, um das nachzuholen.
»Macht doch nichts. Geh ruhig dran. Ich denke, wir sind für heute fertig.«
Es ist Julia, die mir ins Ohr schreit.
»Er hat mich angerufen. Wir sind verabredet. Er nimmt mich mit zu Ronnie Scott’s. Kann ich mir deine Aufreißerschuhe ausleihen?«
Ich muss lächeln. Gestern bekam ich eine E-Mail von Carlos. Er bat mich um Julias Nummer.
»Klar doch. Komm später vorbei.«
»Ich dachte, du wolltest mit Paul ausgehen?«
»Ja, wollte ich, aber er muss arbeiten. Offenbar.«
»Oh Mann, das tut mir leid.«
»Tja. Blöd gelaufen.«
»Sare. Ich habe nachgedacht, warum gehst du nicht einfach mal mit deinem Nr. 1 Fan aus, wenn es mit Paul nicht gut läuft?«
»Jules! Das kommt gar nicht infrage. Er ist so ein verrückter Beleuchter bei Casualty .«
»Was?«
»Er hat es mir gesagt. Hör zu, ich muss jetzt aufhören.«
»Okay. Wir sehen uns später. Oh mein Gott. Ich habe eine Verabredung!«, quietscht sie, bevor sie auflegt.
»Klingt, als wär’s ein guter Anruf gewesen«, sagt Tristan, als er mein Lächeln sieht.
»Ja, meine beste Freundin hat eine Verabredung mit einem gut aussehenden DJ im coolsten Jazzklub der Stadt, und es kann gut sein, dass ich nicht ganz unbeteiligt daran war, sie zusammenzubringen.«
»Ich hätte auch gern eine Verabredung«, seufzt er.
»Du bist Single, Tristan? Das ist kriminell. Du bist reizend. Vielleicht sollte ich dich mal mit jemandem verkuppeln. Ich entwickele mich langsam zu einer Beziehungsvermittlerin.«
Tristan sieht mich erschrocken an.
»Wie wäre es mit dem hübschen Mädchen, das die Lesbe in dem Stück spielt? Amy?«
»Hast du einen Freund?«
»Oh«, ich zucke überrascht zusammen. »Ja, vermutlich schon.«
»Klingt aber nicht so, als wärst du dir dessen sicher.«
»Hm. Er ist in der Werbebranche und arbeitet ständig. Ich sehe ihn kaum.«
»Kommt er zur Premiere?«
»Ja, ich denke schon. Er sagt es jedenfalls. Du weißt schon, wenn die Arbeit es zulässt.«
»Wie heißt er denn?«
»Paul. Paul, der Perfekte Paul«, sage ich, aber ich wünschte mir, es käme mir mit mehr Überzeugung über die Lippen.
56
Normalerweise komme ich anderthalb Stunden nach Spielbeginn auf die Bühne. Dann spreche ich meine eine Zeile und kehre sogleich in die Garderobe zurück, um an meinem Wollhut weiterzustricken oder an meinem Kreuzworträtsel weiterzuknobeln.
Aber dieses Stück wird von mir eröffnet. Ich bin bereits auf der Bühne, wenn das Publikum hereinkommt. Ich knie mitten auf der Bühne, ziehe mir eine Linie Heroin nach der anderen rein, gähne dabei, kratze mich und zappele herum. Dann geht die Saalbeleuchtung aus, und das Scheinwerferlicht fällt auf mich ganz allein. An diesem Punkt muss ich einen zweiseitigen Monolog aufsagen. Jedes Mal, wenn ich aufblicke, sehe ich
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