Oh Happy Dates
ein vertrautes Gesicht. Simon sitzt links von mir in der ersten Reihe mit meiner Mum und meinem Dad. Wenn ich mit meinem von Drogen benebelten starren Blick in ihre Richtung schaue, stupsen sie einander an und strahlen mich an, sodass ich meine Blicke eher auf die rechte Publikumsseite verlagern muss. Aber dort auf der rechten Seite sitzt Selina Gutteridge, die Casting-Direktorin, neben Eamonn Nigels, und das ist auch nicht viel besser.
Paul kann ich nirgends sehen. Ich weiß nicht, was ich machen werde, wenn er mich auch heute Abend wieder versetzt. Abgesehen von meinem Geburtstag ist das zwei Mal passiert. Beide Male sagte er ein Abendessen ab, weil
er noch spät arbeiten musste. Und jetzt habe ich für die nächsten sechs Wochen jeden Abend eine Vorstellung und weiß nicht, wie das weitergehen soll. Als er mich nicht haben konnte, wollte er mich. Jetzt, da er sich meiner sicher weiß, ist er abgetaucht. Ich komme mir vor wie ein Fitnessstudio, in dem er sich angemeldet hat, aber keine Lust hat hinzugehen. Konzentriere dich, Sarah, vermassele den heutigen Abend bloß nicht wegen eines Kerls, sage ich mir, als ich eine Fingerspitze braunen Zucker aufnehme und auf mein Zahnfleisch reibe. Ich verziehe das Gesicht, und die Saalbeleuchtung erlischt. Ich spüre die Wärme meines Scheinwerfers. Ich beginne meinen Monolog.
Plötzlich verneigen wir uns alle. Keiner hat irgendwelche Zeilen vergessen oder ist gestolpert. Das Publikum hat über die Scherze gelacht. Jetzt klatscht es. Wir verbeugen uns wieder. Meine linke Brust fällt mir dabei fast aus dem Kleid, aber ich fange sie noch rechtzeitig auf. Der Applaus nimmt kein Ende. Wir verbeugen uns alle erneut. In der ersten Reihe erhebt sich ein kleiner Mann mittleren Alters mit Brille. Ich gehe davon aus, dass er aufsteht, um zu gehen, doch er bleibt stehen, erhebt seine Hände und klatscht noch lauter. Zwei Mädchen, die hinter ihm sitzen, stehen ebenfalls auf und fangen an zu johlen. Und dann erhebt sich wie in Zeitlupe das ganze Publikum und klatscht. Standing Ovations. Es ist das beste Gefühl, das man überhaupt haben kann. Könnte ich es in einer Flasche verkaufen, würde sich damit leicht mein Studiendarlehen zurückzahlen lassen. Ich höre eine vertraute Stimme »Bravo!« rufen. Es ist Paul. Er steht neben Julia etwa in der Mitte des Saals. Er hält einen Strauß Rosen in der Hand. Er zieht eine heraus und wirft sie in Richtung Bühne. Fast hätte sie einer Frau vier Reihen vor ihm das Auge ausgestochen.
Er zieht ein erschrockenes Gesicht. Ich fange seinen Blick auf, und wir lächeln uns zu.
Ich komme durch die Bühnentür. Dort steht Paul mit dem Rest der Rosen. Er reißt mich an sich und drückt mich und flüstert mir ins Ohr: »Du warst brillant. Unheimlich brillant. Und das meine ich ernst, Sare.«
Ich verweile einen Moment in seiner Umarmung und habe dabei ein erhabenes Gefühl. Ich küsse ihn auf die Lippen.
»Und was nun?«, fragt er. »Ich bin am Verhungern. Ich möchte dich zum Essen ausführen.«
»Aber es gibt jetzt eine Party mit Drinks und Kanapees und so, weißt du?«
»Oh richtig. Das habe ich vergessen.«
»Du kommst doch mit auf die Party? Bitte. Champagner umsonst!«
»Ja, okay, aber ich nehme besser vorher ein paar Kanapees!«, sagt er und schlingt seinen Arm um meine Taille.
Die Tradition legt eindeutig fest, dass es nach der Premiere eine Premierenparty geben muss. Diese Tradition beinhaltet freundlicherweise auch, dass sich eine Schauspielerin auf einer Premierenparty bis zur Sprachlosigkeit am kostenlosen Champagner betrinken darf und Leute aus dem Publikum sich der Schauspielerin nähern und sie »Liebling« nennen und ihr versichern müssen, wie wunderbar sie ist. Sarah Sargeant ist ein absoluter Fan von Premierenfeiern.
Diese Feier ist sehr glanzvoll. Ich komme mir vor wie in einer Folge von Sex and the City , als ich am Eingang stehe und mit Paul an meiner Seite meinen Blick durch den Raum schweifen lasse. Mit ein bisschen Glück werde auch ich heute Abend etwas Sex in der City bekommen. Ich
trage sogar mein Wickelkleid. Ich sehe Paul an. Er sieht jedoch nicht so aus, als hätte er ein Erwachsenenvergnügen im Sinn. Mit nachdenklich gefurchter Stirn lässt er seine Augen forschend durch den Raum wandern.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, frage ich ihn.
»Ich bin am Verhungern. Können wir nicht einfach irgendwohin essen gehen?«
»Es ist die Premierenfeier«, juble ich wie eine Sechsjährige, der man gerade etwas
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