Ohne Beweis (German Edition)
für Kamil, dass er wenigstens über ein eigenes Bad verfügen konnte. Carmen schien hier auch nirgendwo zu sein, immerhin lungerte Nora nun schon seit über einer halben Stunde hier herum. So lange würde Carmen doch sicher nicht im Bad sein, oder?
Während Nora noch darüber nachgrübelte, ob sie noch ein bisschen länger warten oder doch schon mit der Befragung der Nachbarn beginnen sollte, hörte sie ein Motorrad heranknattern. Instinktiv versteckte sie sich hinter einem Busch. Warum, wusste sie selbst nicht so genau. Sie hatte ja nichts angestellt, aber dennoch sagte ihr ihr Gefühl, dass sie vorsichtig sein sollte. Tatsächlich war es Kamil, der da um die Ecke gebraust kam und schnurstracks zu seiner Wohnungstüre hastete. Der hatte es anscheinend eilig und auch jetzt war von Carmen nichts zu sehen. Vielleicht war sie ja doch nicht bei ihm und Nora hatte den ganzen weiten Weg hierher umsonst auf sich genommen? Doch die junge Schnüfflerin wollte so schnell nicht aufgeben. Eigentlich hatte sie vorgehabt, aus ihrem Versteck herauszutreten und Kamil einfach nach Carmen zu fragen, doch irgendetwas hielt sie gerade noch zurück. Was wäre, wenn Kamil Carmen irgendwo anders gefangen hielt und Nora sich jetzt zeigen und nach Carmen fragen würde? Dann wäre er gewarnt, Carmen wäre somit nicht geholfen und Nora würde sich womöglich ebenfalls in Gefahr begeben. Bevor sie nicht ganz sicher sein konnte, dass es Carmen gut ging und sie wirklich freiwillig hier war, würde sie zunächst nichts unternehmen und nur beobachten, was Kamil weiter vorhatte.
Von ihrer Warte aus konnte sie aber leider nicht durchs Fenster schauen. So bekam sie auch nicht mit, dass Kamil ein Feuerzeug, eine kleine Taschenlampe, einen Schal und ein Seil in seinen Rucksack stopfte und hastig seine Wohnung wieder verließ. Nora war jedoch klar, dass sie ihn unbedingt verfolgen musste und so sprang sie hinter dem Busch hervor und um die nächste Ecke, bevor Kamil die Treppen heraufkam. Sie schaffte es gerade noch, in ihren Käfer zu springen und sich zu ducken. Nun konnte sie nur hoffen, dass Kamil ihren Käfer nicht erkennen und misstrauisch werden würde. Dieser hatte es jedoch mächtig eilig, sodass Nora Mühe hatte, ihn überhaupt verfolgen zu können. Zu ihrem großen Glück war Kamils fahrbarer Untersatz ein altes Moped, das anscheinend nicht schneller als fünfzig Kilometer in der Stunde lief, denn sobald sie aus der Stadt heraus waren, fuhr er auch nicht schneller.
Wo will der nur hin? Fährt der jetzt zum Baden an die Ostsee, oder was? Wartet da vielleicht die liebe Carmen, sich in der Sonne räkelnd, auf ihren Liebhaber?, fragte sich Nora, während sie bemüht war, so viel Abstand wie nötig, aber so wenig wie möglich zwischen sich und dem Verfolgten zu halten. Sie hatte zwar bemerkt, dass dieses Vorkriegsmodell keinen Rückspiegel hatte und Kamil sich so gut wie nie umdrehte, aber sie wollte trotzdem vorsichtig sein.
„Mist!“, fluchte Nora, als Kamil plötzlich rechts in ein Waldstück abbog und sie nur noch ein paar hundert Meter mit ihrem Auto weiterfahren konnte. Dann wurde der Weg zu schmal und man kam nur noch zu Fuß oder eben mit einem Moped weiter, wobei auch Kamil große Probleme hatte, über den kleinen Trampelpfad zu fahren. Für motorbetriebene Fahrzeuge war dieser Weg ganz sicher nicht angelegt, höchstens noch für Mountainbiker.
„Wo fährst du hin, Kamil?“, flüsterte Nora. Sie stellte ihren Käfer kurzentschlossen auf dem Weg ab und hastete zu Fuß hinter Kamil her. Dabei kramte sie ihr Handy aus der Tasche und schaltete es aus. Sie wollte sicher gehen, dass dieses Ding nicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt zu klingeln anfing. Hätte sie es nur auf stumm geschaltet, wäre alles anders verlaufen.
46
Carmen hatte schon wieder von den zwei Kindern geträumt und war verwirrt und traurig aufgewacht. Irgendwas stimmte mit ihr nicht. Sie war angeblich Karstens Frau, aber warum empfand sie so gut wie nichts, wenn er in ihrer Nähe war? Zugegeben – er sah recht gut aus und sie hatte auch nicht wirklich Angst vor ihm, dennoch fühlte sie sich in seiner Gegenwart nicht wohl. Er war heute gleich nach dem Frühstück aufgebrochen, um noch ein paar Dinge zu besorgen und er hatte sie, wie er sagte, zu ihrem eigenen Schutz, wieder eingesperrt. Doch wer sollte hier zu dieser verlassenen Hütte schon raufkommen und warum musste man gleich Angst haben, dass jemand einem etwas Böses wollte?
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