Ohne Chef ist auch keine Loesung
beschrieben, aber
noch nicht gelöst. Dazu müssen wir zuerst ihre Ursachen besser verstehen, indem wir in die arbeitspsychologischen Abgründe
eintauchen. Danach können wir uns dann gemeinsam auf die Lösungssuche begeben und schauen, wie wir für beide Seiten einen
Ausweg aus der Abwärtsspirale finden.
Der Führungsschlüssel
Wie ist es zu erklären, dass sich viele Mitarbeiter auf die von dem Chef oben monierte Weise verhalten? Und manchmal noch
nicht einmal merken, was dieses Verhalten bei Vorgesetzten auslöst und für Probleme in der Organisation bewirkt? Sollte gar
das Querulanz-Gen schuld sein?
Mitnichten! Die Dinge liegen so: Wir Menschen fokussieren uns grundsätzlich auf uns selbst und suchen Bestätigung. Wir wollen
hier dieses zutiefst menschliche Phänomen genauer unter die Lupe nehmen, denn einer der häufigsten Sätze, die wir von im Arbeitsleben
enttäuschten Menschen immer wieder gehört haben, lautet: »Meine Meinung zählt sowieso nicht.« Oft kommt |42| noch die Aussage hinzu: »Egal, was ich auch vorschlage – der Chef weiß und kann es schon aus Prinzip besser.« Und genau das
ist der wunde Punkt: Wir Menschen wünschen uns nichts sehnlicher, als teilhaben zu dürfen, wichtig zu sein, etwas zu sagen
und vor allem zu entscheiden zu haben.
Was aber nehmen wir stattdessen wahr?
Chefs hören ihre Leute nicht an und fällen wesentliche Entscheidungen im Alleingang. Wir haben in unseren langjährigen Studien
praktisch keine Mitarbeiter gefunden, die nicht über mangelnde Möglichkeiten der Mitbestimmung klagten.
Bis hierhin ist also alles völlig berechtigt!
Das – bislang ungelöste – Problem ist nur, dass uns im herkömmlichen Unternehmen ein personelles Ungleichgewicht begegnet:
Jeder Mitarbeiter hat in der Regel nur
einen
Vorgesetzten, bei dem er gerne mitreden möchte und der seine Ideen und Vorschläge – bitte schön – in seine Entscheidungen
einfließen lassen soll. Umgekehrt hat aber jeder Vorgesetzte mehrere Angestellte zu betreuen, das heißt, er hat vielleicht
37 Mitarbeiter im Nacken sitzen, die überall mitbestimmen wollen. Diesen sogenannten »Führungsschlüssel« nehmen die Mitarbeiter
allerdings kaum wahr. Denn wir Menschen schließen meist von uns auf andere und nehmen nicht die Perspektive unseres Gegenübers
ein. Das nennt man Egozentrismus: Wir betrachten uns selbst als Zentrum allen Geschehens und bewerten alle Ereignisse von
unserem eigenen Standpunkt aus.
Ich denk immer nur an … mich
Egozentrismus ist ein entwicklungspsychologischer Begriff, der auf Jean Piaget zurückgeht. Er ist eine kindlich-kognitive
(gedankliche) |43| Geisteshaltung, die daraus resultiert, dass das Kind noch keine Vorstellung von seinem eigenen Ich hat: Es stellt sich selbst
als die Welt vor, es
ist
die Welt. Wir überwinden diesen Egozentrismus mit zunehmendem Alter durch Erfahrung, sozialen Austausch und Konflikte. Das
allerdings gelingt uns Menschen jeweils unterschiedlich gut.
Wie äußert sich Egozentrismus nun ganz konkret?
Wenn Sie am Telefon den kleinen Lukas fragen, was er zum Geburtstag geschenkt bekommen habe, so antwortet er ganz selbstverständlich:
»Das da!« Ihm ist dabei nicht bewusst, dass Sie über das Telefon leider keine Möglichkeit haben, das Schaukelpferd zu sehen,
auf das er gerade zeigt.
»Gut«, sagen Sie sich jetzt vielleicht, »nettes Beispiel, aber was hat das mit mir zu tun? Schließlich bin ich kein Kind mehr.«
Das ist vollkommen richtig. Aber auch Ihnen können wir den einen oder anderen egozentrischen Moment nachweisen. Wollen wir
wetten?
Stellen Sie sich die folgende Situation vor: Sie wachen morgens schweißgebadet auf, Ihr Hals ist dreimal so dick wie üblich,
und Ihre Füße sind übersäht mit suppentellergroßen grünen und blauen Pocken. Sie rufen geistesgegenwärtig Ihre Hausärztin
an und bitten höflich-verzweifelt darum, sofort dazwischengeschoben zu werden. Die Arzthelferin am anderen Ende der Leitung
leidet mit Ihnen und äußert ihr aufrichtiges Bedauern – aber das Wartezimmer sei zum Bersten voll, im Moment sei da wirklich
nichts zu machen. »Es dauert doch nur drei Minuten«, jammern Sie verzagt in die Muschel.
Und, schnapp, sind Sie in die Egozentrismus-Falle getappt. Denn: Das Drei-Minuten-Argument gilt nur aus Ihrer Sicht. Die Arzthelferin
hat eine ganz andere Zeitrechnung und Sicht auf die Angelegenheit: Sie ist nämlich schon 45 Minuten im Verzug, weil |44| am
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