Ohne Chef ist auch keine Loesung
geworden, fühlen Sie sich hilflos und haben
schon begonnen, an Ihren Wahrnehmungen, an Ihren Fähigkeiten und an Ihrem Verstand zu zweifeln: Dann ist die Lottokugel bereits
in den Brunnen gefallen!
|85| Fünftes Gebot Du sollst den Tag nicht ohne Abend loben
Donnerstagabend, 19:30 Uhr. Zaghaft betritt Frau Müller das Büro von Herrn Meier.
»Ähmm«, räuspert sie sich verlegen und ihr Gesicht bekommt etwas Schulmädchenhaftes, »wäre es wohl möglich, dass ich heute
vielleicht schon so gegen 21:00 Uhr gehen kann?«
Herr Meier lugt wie eine Giraffe hinter seinem Flachbildschirm hervor – sein Blick hat etwas Ungläubiges.
»Ich meine«, stammelt Frau Müller, »es ist so, dass meine Eltern hier gleich eintreffen werden – wir haben uns schon seit
drei Jahren nicht mehr gesehen. Sie leben in den USA und sind körperlich nicht mehr so ganz fit – na ja, und wie das mit meinem
Urlaub so ist, das wissen Sie ja selbst …«
»Aber ich bitte Sie, meine liebe Frau Müller«, erfüllt Herr Meiers Stimme betont sanft den Raum, »das kann ich selbstverständlich
sehr gut verstehen. Die Eltern. Leider ist es aber so«, und seine Worte gewinnen einen Hauch von Schärfe, »dass wir bis morgen
noch dieses Angebot raushauen müssen, das Projekt liegt ja in Ihrem Verantwortungsbereich. Denken Sie nur immer daran, welchen
Druck der Geschäftsführer auf der letzten Konferenz deswegen gemacht hat!«
Frau Müller tritt von einem Bein auf das andere. »Natürlich, stimmt schon«, unternimmt sie einen zweiten Anlauf, »aber es
ist |86| ja die goldene Ausnahme. Außerdem dachte ich, dass ich anfangen könnte, meine 670 Überstunden aus dem Presseprojekt langsam
abzubauen.«
»Überstunden?«, dröhnt Herr Meier, »Ich habe mich wohl verhört. Ich glaube kaum, dass dieser Begriff und Ihre Position hier
im Unternehmen miteinander vereinbar sind! So etwas gibt es auf Ihrer Ebene einfach nicht.« Ihr gequälter Blick lässt sein
Herz kalt. »Sonst noch was?«, raunzt er.
»Ich wollte ja eigentlich nicht schon wieder damit anfangen«, flüstert Frau Müller kleinlaut, »wenn Sie mich aber so fragen,
dann möchte ich gerne nochmals über die Kernzeiten sprechen, die letzten zwei Jahre kam ich kaum einen Abend vor 22:00 Uhr
hier raus. Ich dachte, dass, wenn ich den Schwerpunkt ›interne Kommunikation‹ an Sie zurückgebe …«
»Daher weht also der Wind«, fährt Herr Meier ihr unsanft über den Mund, »nun, wenn das so ist, dann können Sie es gleich ganz
lassen und Ihre Sachen packen. Wie Sie aus unseren Zielvereinbarungsgesprächen wissen, bin ich ungern barsch«, und sein Ton
schwillt auf Kleinlasterlautstärke an, »aber Sie sind meine direkte Vorgesetzte und haben hier Vorbildfunktion. Klaro? Sie
müssen alles geben, Frau Müller – so läuft das Geschäft nun mal!«
»Nanu, was ist denn das für eine wunderbar verkehrte Welt, in der der Mitarbeiter seine Chefin zur Raison ruft – ihr den Feierabend
madig macht, Überstunden anordnet und den Urlaub streicht?«, fragen Sie jetzt ein wenig entgeistert.
Und wir geben zu: Diese Welt ist verkehrt.
Aber: Der Dialog für sich genommen stimmt schon und ereignet sich tagtäglich millionenfach – allerdings in getauschten Rollen.
Er spiegelt das wider, was viele Arbeitgeber mit ihren Angestellten machen.
|87| Und das ist ebenfalls verkehrt!
Doch bevor Sie jetzt auf dumme Gedanken kommen und sich durch Herrn Meiers Worte zu fatalem Fehlverhalten gegenüber Ihrem
eigenen Chef inspirieren lassen, tauchen wir an dieser Stelle lieber für einen Moment in die »wirkliche« Wirklichkeit ein.
Arbeit ist alles, was keinen Spaß macht?
Unter »Arbeit« verstehen wir im Allgemeinen eine zielgerichtete, planmäßige und bewusste menschliche Tätigkeit, die unter
Einsatz physischer, psychischer und geistiger Fähigkeiten und Fertigkeiten erfolgt. Die meisten von uns müssen mit Arbeit
ihren Lebensunterhalt bestreiten. In manchen, glücklichen, Fällen fällt auch noch das bewusste kreative und schöpferische
Handeln unter diesen Begriff.
Schöpfen hin, schöpfen her; wie das mit Tätigkeiten unter Einsatz unserer Kräfte so ist: Arbeit macht zwar im besten Falle
noch Spaß und ist befriedigend – sie kann aber auch ganz schön anstrengend sein und ist vor allem zeitintensiv.
So berichtet Nicola Holzapfel in einem
ZEIT-
Artikel, dass alle Deutschen zusammen im Jahr 2007 insgesamt 56 Milliarden Stunden gearbeitet haben. Was schon
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