Ohne Chef ist auch keine Loesung
Platz 5 von 25 Ländern.
Der weltberühmte, einst so pünktliche, gehorsame und fleißige Deutsche – ein eigenmächtig waltender Nimmersatt?
Liebe Arbeitnehmer, bei allem Verständnis – so geht es nicht! Dass Ihre Chefs Sie unfair behandeln, versuchen, Ihr Gehalt
zu drücken, über die berechtigte Arbeitszeit hinaus Ihre Lebenszeit zu rauben – das ist nicht in Ordnung. Davor dürfen Sie
sich schützen und dagegen dürfen Sie etwas tun. Das heißt allerdings nicht, dass Sie selbst im Gegenzug zu unlauteren Methoden
greifen und sich einfach eigenmächtig das nehmen, was Ihnen Ihrer Meinung nach zusteht.
Chef, gib mir alles – die Welt ist nicht genug!
Doch genug der mahnenden Worte. Inzwischen hat unsere Chefin ihr Telefonat beendet und sich wieder ihrem Tagebuch gewidmet.
Lesen wir also weiter.
|96| Da spricht die Chefin ein weit verbreitetes Problem an: Dass die Erwartungen vieler Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz krachend
mit der Realität zusammenstoßen. Spiel, Spannung, Spaß, nette Leute um einen herum, jede Menge Geld, all das soll ein Arbeitsplatz
bieten – und noch viel mehr: Auch Erfüllung und nicht weniger als den Sinn des Leben soll der Arbeitgeber noch drauflegen.
Hört sich gut an.
Das Problem: Kein Arbeitsplatz dieser Welt kann all das bieten. Es ist ja durchaus berechtigt, dass man den einen oder anderen
Wunsch an seine Tätigkeit hat, dass man auch gewisse Erwartungen an die Sinnhaftigkeit hegt. Jeder möchte seinen Platz im
Weltgeschehen haben. Aber das sind zum einen Dinge, die man wohl besser im Vorfeld, beim Vorstellungsgespräch, im Zusammenhang
mit der Arbeitsplatzbeschreibung klären sollte. Sicherlich kommt der eine oder andere Punkt erst während der Ausübung der
konkreten Tätigkeit auf den Schreibtisch – dazu dient ja unter anderem auch die Probezeit. Und wenn man freundlich fragt,
dann ist der Chef bestimmt bereit, über das eine oder andere Thema nachzuverhandeln.
Allerdings, und diese Wahrheit wollen viele nicht wahrhaben: Jeder Arbeitsalltag besteht nun einmal hauptsächlich aus unglaublich
unspektakulären Routineaufgaben. Überall muss einfach Tag für Tag »ganz normale« Arbeit weggeschafft werden. »Langweilig und
belanglos« – das ist die Standardklage vieler Mitarbeiter über ihre Arbeit. Doch es kann nicht jede und jeder von uns jeden
Tag die Welt verändern – die Welt müsste sich sonst ja auch in einem ganz schön rasanten Tempo verändern. Wir Menschen sind
eben immer nur ein Teil in einem sehr großen Gefüge: im Arbeitsleben und in der Weltgeschichte überhaupt. Das empfinden wir
oft als unbefriedigend und sind enttäuscht, weil wir im Arbeitsleben nach der großen »Erfüllung« suchen, |97| nach der einmaligen, aufregenden, immens bedeutenden, für die Welt unverzichtbaren Tätigkeit.
Die Wahrheit aber ist: Ein Job ist eben nur ein Job. Wir haben oben gesehen, dass es weder fair noch hilfreich ist, wenn Ihr
Arbeitgeber von Ihnen erwartet, dass Sie seine Anliegen und seinen Unternehmensinhalt zu Ihrem eigenen Lebenssinn und Lebensinhalt
machen. Umgekehrt ist es natürlich ebenso unfair und schädlich, wenn Sie derselben Arbeit und demselben Arbeitgeber die Verantwortung
dafür aufbürden,
dass Ihr Leben mit Sinn und
Inhalt gefüllt wird
. Der Arbeitsvertrag ist zunächst einfach einmal ein Tauschgeschäft: Geld gegen Arbeitszeit. Nicht weniger – aber auch nicht
mehr. »§ XY (Selbstverwirklichung)« steht nicht darin. Wenn Sie die Arbeit und den Chef für Ihr gesamtes Lebensglück verantwortlich
machen, dehnen Sie den psychologischen Arbeitsvertrag zu weit aus. Denn dafür ist jeder selbst verantwortlich. Die Arbeit
kann dabei immer nur ein Baustein unter vielen sein.
Nun drängt sich natürlich die Frage auf: Wie kann es dazu kommen, dass manche Arbeitnehmer derartige Erwartungshaltungen aufbauen?
Sollten sie die etwa bei ihren eigenen Vorgesetzten abgekupfert haben?
Was du von mir, das ich von dir – warum wir unsere Erwartungen sorgsam prüfen sollten
Ob Mitarbeiter ihre Chefs für ihr Lebensglück verantwortlich machen, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel Spielraum die
Chefs den Mitarbeitern in ihrem Leben noch für andere Inhalte und Sinnquellen lassen.
|98| Dazu folgender Fall aus der Lebenswirklichkeit: Frau X ist Politikredakteurin bei einer überregionalen Tageszeitung. Dienstbeginn
ist 6:30 Uhr. Das ist im Vergleich zu anderen Berufsgruppen nicht unbedingt wahnsinnig spät –
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