Ohne dich kein Sommer - Roman
durch.
»Ohne dich fahren wir hier nicht weg«, sagte er.
Conrad stieß einen Seufzer aus. »Hör mal, Jere, es war wirklich nett von dir, dass du gekommen bist. Aber du siehst ja, mir geht’s gut. Ich hab alles im Griff.«
»Einen Dreck hast du, Con. Wenn du Montag nicht zu deinen Prüfungen erscheinst, feuern sie dich. Wegen dieser Nachprüfungen zum letzten Semester hast du den Sommerkurs doch überhaupt nur belegt. Wenn du nicht zurückgehst, was dann?«
»Das lass mal meine Sorge sein. Ich krieg das schon geregelt.«
»Das sagst du die ganze Zeit, Mann, aber in Wirklichkeit hast du keinen Plan. Abgehauen bist du, sonst gar nichts.«
Conrad funkelte ihn böse an, und ich wusste, Jeremiah hatte voll ins Schwarze getroffen. Conrad war immer jemand gewesen, der bestimmte Werte hochgehalten hatte, und die waren auch jetzt noch da, allerdings verschüttet unter einem Berg aus Wut. Der alte Conrad würde niemals aufgeben.
Jetzt war ich an der Reihe. Ich holte tief Luft und sagte: »Aber wie willst du ohne College-Abschluss Arzt werden, Conrad?«
Er sah mich an, schaute kurz weg, drehte sich wieder zu mir um. Wütend starrte er mir ins Gesicht, aber ich hielt seinem Blick stand. Ha! Ich hatte es gesagt. Und wenn es sein musste, würde ich noch mehr sagen, selbst wenn es ihn verletzte.
All die Jahre hatte ich Conrad bei unseren vielen Spielen beobachtet und dabei eins gelernt: Sobald ein Gegner erste Anzeichen von Schwäche zeigt, greift man mit voller Kraft an. Man schlägt zu, mit jeder Waffe, die man in seinem Arsenal hat, und man macht immer weiter. Gnadenlos.
»Ich hab nie gesagt, dass ich Arzt werden will«, blaffte Conrad mich an. »Was weißt du schon.«
»Dann sag uns doch, was Sache ist.« Mein Herz klopfte wie wild.
Keiner von uns sprach ein Wort. Eine Minute lang dachte ich wirklich, Conrad würde uns sagen, was los war. Doch dann auf einmal stand er auf. »Es gibt nichts zu sagen. Ich geh wieder raus. Danke für die Muffins, Jere.« Zu mir sagte er nur: »Du hast das ganze Gesicht voller Zucker.« Im nächsten Moment war er auch schon an der Verandatür und schob sie auf.
Als er weg war, brüllte Jeremiah: »Scheiße!«
»Ich dachte, du wolltest ihn bearbeiten!«, sagte ich. Es kam vorwurfsvoller heraus, als es gemeint war.
»Man darf Conrad nicht zu sehr bedrängen, dann macht er bloß dicht«, sagte Jeremiah und zerknüllte die Papiertüte.
»Schon passiert.«
Jeremiah sah wahnsinnig niedergeschlagen aus, und es tat mir leid, dass ich ihn so angefahren hatte. Ich streckte eine Hand aus und legte sie ihm auf den Arm. »Mach dir keine Sorgen. Wir haben ja noch Zeit. Heute ist schließlich erst Samstag, stimmt’s?«
»Stimmt.« Aber so richtig überzeugt klang er nicht.
Danach sagte keiner von uns mehr ein Wort. Wie immer diktierte Conrad die Stimmung im Haus, von ihm hing ab, wie alle anderen sich fühlten. Und nichts würde sich je wieder gut anfühlen, solange die Sache mit Conrad nicht ins Lot kam.
21
Ich war gerade im Bad, um mir den Zucker aus dem Gesicht zu waschen, als es mir zum ersten Mal so richtig bewusst wurde. Da kein Handtuch am Haken hing, schaute ich in den Wäscheschrank und sah, im Fach unter den Strandlaken, Susannahs großen weichen Hut. Den, den sie immer am Strand trug. Sie war immer sehr besorgt um ihre Haut. Gewesen .
Nicht an Susannah zu denken, ganz bewusst nicht an sie zu denken hatte es leichter gemacht. So lange war sie nicht wirklich von uns gegangen. Dann war sie einfach nur gerade irgendwo anders. So hatte ich es gehalten, seit sie gestorben war. Hatte nicht an sie gedacht. Nur dass es zu Hause einfacher gewesen war. Hier jedoch, im Sommerhaus, war sie überall.
Ich nahm ihren Hut und hielt ihn einen Moment lang in den Händen, bevor ich ihn zurücklegte. Auf einmal fühlte ich einen Schmerz in der Brust, so heftig, dass ich kaum Luft bekam. Es war so schwer, hier zu sein, in diesem Haus. Zu schwer.
Ich raste nach oben, nahm Conrads Kette ab, zog meine Sachen aus und Taylors Bikini an. Es war mir völlig egal, wie blöd ich darin aussah. Ich wollte einfach nur ins Wasser. Irgendwo sein, wo ich nicht nachdenken musste, wo außer dem Wasser nichts existierte. Ich würde schwimmen, mich treiben lassen, einatmen, ausatmen, einfach nur sein.
Mein altes Teddybärstrandlaken lag wie eh und je im Wäscheschrank. Ich legte es mir wie eine Decke um die Schultern und ging nach unten. Jeremiah saß am Tisch, aß ein Eiersandwich und schlürfte Milch direkt aus
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