Ohne dich kein Sommer - Roman
davon hielt, kümmerte sie gar nicht. Noch nie hatte sie sich dafür interessiert. Aber natürlich war es nicht allein ihre Schuld – schließlich hatte ich ihr immer alles durchgehen lassen.
Nach dem Zähneputzen zog ich Taylors Schlafanzug an und legte mich ins Bett. Ich überlegte noch, ob ich vor dem Einschlafen ein bisschen lesen sollte, eins der alten Taschenbücher auf dem Regal, als es klopfte. Schnell zog ich mir die Bettdecke bis unters Kinn hoch, dann rief ich: »Komm rein!«
Es war Jeremiah. Er schloss die Tür hinter sich und setzte sich an mein Fußende. »Hey«, flüsterte er.
Ich ließ meine Bettdecke wieder los. Schließlich war es nur Jeremiah. »Hey, gibt’s was Neues? Hast du mit ihm geredet?«
»Noch nicht. Erst mal wollte ich nur, dass er ein bisschen lockerer wird, morgen starte ich dann einen neuen Versuch. Das heute war erst die Vorarbeit. Die Aussaat sozusagen.« Er sah mich verschwörerisch an. »Du weißt ja, wie er ist.«
Allerdings. »Okay. Klingt vernünftig.«
Er hielt mir eine Hand hin. »Keine Sorge. Wir schaffen das schon.«
Ich schlug ein. »Wir schaffen das«, echote ich. Ich hörte den Zweifel in meiner Stimme, aber Jeremiah lächelte, als wäre die Sache bereits geritzt.
19
Jeremiah
Als Belly aufstand, um ins Bett zu gehen, war klar, dass sie uns allein lassen wollte, damit ich mit Conrad übers College reden konnte. Ganz sicher wusste ich das. Als wir klein waren, hatten wir immer Gedankenübertragung trainiert. Belly war überzeugt, dass ich ihre lesen konnte und sie meine. In Wirklichkeit aber funktionierte es nur in einer Richtung – ich konnte ihre lesen. Wenn Belly log, kniff sie das linke Auge ein bisschen zu, und wenn sie nervös war, sog sie erst die Wangen nach innen, bevor sie etwas sagte. Belly war leicht zu durchschauen, das war immer schon so gewesen.
Ich sah zu Conrad hinüber. »Was meinst du – sollen wir morgen ganz früh aufstehen und surfen gehen?«, fragte ich ihn.
»Gut«, sagte er.
Morgen würde ich mit ihm übers College reden, darüber, wie wichtig es war, dass er zurückging. Alles würde sich wieder einrenken.
Wir sahen noch eine Weile fern, und als Conrad auf dem Sofa einschlief, ging ich nach oben. Am Ende des Gangs fiel ein Streifen Licht unter Bellys Tür hindurch. Ich ging hin und klopfte leise. Es kam mir so bescheuert vor, bei ihr anzuklopfen. Früher waren wir immer in die anderen Kinderzimmer reingerannt, ohne uns was dabei zu denken. Ich wünschte, die Dinge wären noch immer so einfach.
»Komm rein«, hörte ich.
Ich ging hinein und setzte mich auf ihr Bett. Als mir klar wurde, dass sie schon im Pyjama war, hätte ich beinahe auf der Stelle kehrtgemacht. Ich musste mich selbst daran erinnern, dass ich sie Tausende von Malen im Schlafanzug gesehen hatte, was war also groß dabei? Aber sonst hatte sie immer irgendwelche Maxi-T-Shirts angehabt, so wie wir anderen auch. Jetzt trug sie ein winziges rosa Oberteil mit dünnen Trägern. Ich fragte mich, ob so was bequem war.
20
4. Juli
Am nächsten Morgen stand ich nicht gleich auf. Eine Zeit lang lag ich nur da und stellte mir vor, es wäre ein ganz normaler Morgen im Sommerhaus. Das Bettzeug roch vertraut, mein Kuschelbär Junior Mint saß wie eh und je auf der Kommode. Alles war wie immer. Susannah und meine Mutter machten einen Strandspaziergang, während die Jungs mir alle Blaubeermuffins wegäßen und mir nur die Müsliflocken meiner Mutter übrig ließen. Gerade mal zwei Finger breit Milch wären noch in der Packung, und der Saft wäre auch leer getrunken. Wie hatte ich mich immer darüber aufgeregt; jetzt musste ich bei dem Gedanken schmunzeln.
Aber ich machte mir etwas vor, das wusste ich auch. Unten warteten keine Mutter, kein Bruder, keine Susannah.
Es war schon fast elf. So lange hatte ich geschlafen, zwölf Stunden am Stück, dabei war ich doch früh ins Bett gegangen. Seit Wochen hatte ich nicht mehr so gut geschlafen.
Ich stand auf und schaute hinaus. Der Blick aus meinem Fenster im Sommerhaus tat mir immer gut. Ich wünschte, alle Fenster gingen aufs Meer hinaus, auf den Strand, meilenweit nichts als Sand und See. Ich entdeckte Jeremiah und Conrad, die in ihren schwarzen Neoprenanzügen surften. Es war ein so vertrauter Anblick. Und im selben Moment wuchs auch die Hoffnung in mir. Vielleicht hatte Jeremiah ja recht. Vielleicht kam Conrad ja wirklich mit uns zurück.
Später würde ich nach Hause fahren, fort von ihm und allem, woran er mich erinnerte. Ich
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