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Ohne Ende Leben - Roman

Ohne Ende Leben - Roman

Titel: Ohne Ende Leben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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Vorschein. Balders Barthaar wird weicher; Bartlöckchen berühren den Kragen seines Kettenhemdes und lassen ihn wie den exzentrischen Gitarristen einer texanischen Bluesband aussehen. Seine Wangen leuchten rot und das aufgemalte Lächeln verwandelt sich in ein sehr reales und sehr breites. Die graublauen Augen funkeln voller Staunen, zwei dünne Tränenströme sickern über die roten Wangen und verschwinden im dichten Bart. Der Gartenzwerg ist so lebendig, wie ich es bin.
    »Du heilige Scheiße, Götterdämmerung!«, keuche ich.
    »Edler Cameron, ich stehe immer in deiner Schuld«, sagt er mit einer kleinen, steifen Verbeugung und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Schon blitzt der Schalk in seinen Augen. »Und jetzt helfen wir dir. Carbines Schlafzimmerfenster ist um die Hausecke zu meiner Rechten. Wenn du mir gibst, was ihr einen Schubs nennt, werde ich durch das Fenster klettern, Beute machen und mit dem Geld zurückkehren. Es wird das Beste sein, wenn du mich an den anderen vorbeiträgst und mir dabei erlaubst, ›toter Mann‹ zu spielen, damit wir keinen Verdacht erregen. Sputen wir uns!«
     
    Als Kind habe ich mir für mein Leben eine ganze Menge Szenarien vorgestellt. Ich würde Astronaut werden. Vielleicht Comiczeichner. Ein berühmter Forscher oder ein Rockstar. Nicht ein einziges Mal habe ich mich unter dem Fenster des Hauses eines Junkies namens Carbine stehen und auf einen Gartenzwerg warten sehen, der gerade dessen verstecktes Geld raubt, damit ich ein Taxi rufen kann, das mich zurück in ein billiges Motel bringt, in dem meinFreund wartet, ein neurotischer, von Todesgedanken gequälter Knirps, auf dass wir uns zusammen wieder auf den Weg machen zu einem unbekannten Ort und zu einem mysteriösen Dr.   X, der mich vom Rinderwahnsinn heilen wird, und außerdem noch ein Bündel dunkler Energie davon abhalten, die Welt zu zerstören.
    Fünf Minuten nachdem ich ihm reingeholfen habe, erscheint der Zwerg wieder am Fenster, mit einem großen Bündel zerknitterter Geldscheine in der Hand. »Ich fürchte, ich bin noch ein bisschen eingerostet. Pack mal meine Beine!«, flüstert er. Ich bringe ihn in Sicherheit und er drückt mir die Scheine in die Hand. »Ich habe alles genommen, dreitausend Dollar. Sicher ist sicher.«
    »Boah.« Ich muss unablässig auf die Scheine starren.
    »Schnell jetzt«, mahnt Balder.
    Ich stopfe das Geld tief in die Taschen. »Irgendwie fühl ich mich dabei schlecht.«
    »Musst du nicht«, sagt der Zwerg. Er wackelt auf zittrigen Beinen in den Garten. »Sein Reichtum ist unrechtmäßig erworben. Und einmal hat er mich als Schlampe angezogen und Fotos von mir ins Internet gestellt, auf eine Fetischseite namens
Unanständige Zwerge
. Ich kann den seelischen Schmerz, den ich dadurch erlitten habe, gar nicht richtig in Worte fassen. Also. Das Telefon ist im Wohnzimmer neben dem Fernseher. Ich habe hier schon mal Taxis gesehen –
County Cab
, 1   -   800   -   333   -   1111.   Wenn du so oft wie ich entführt wurdest, dann hilft es, die Augen offen zu halten.«
    »Danke«, sage ich.
    »Keine Ursache.«
    Nachdem ich angerufen habe, gehe ich raus und sehe, wie sich die Typen, die den Joint geraucht hatten, um Balderdrängen. »Hey, Mann, ich wette, dass dieser kleine Kerl einen guten Fußball abgibt oder ne Zielscheibe.«
    »Ich würde das nicht tun«, warne ich.
    Der Typ, der Balder am nächsten steht, ruft: »Ja? Warum nicht? Versohlst du mir dann den Popo?«
    Na großartig. Wow, ich hoffe, wir werden Freunde fürs Leben. »Nö, Mann. Ich hab nur gesehen, wie dieser große Hund ihn angepisst hat.«
    Er springt schnell zurück, die anderen Typen lachen und klatschen sich gegenseitig ab. »Auuuu, Alter! Das war knapp. Hundepisse!«
    Jemand steckt den Kopf aus der Tür. »Hey, sie zeigen
Das Motel der lebenden Kettensägen
im Nachtprogramm! Setzt eure Ärsche in Bewegung und kommt rein!«
    »Geht klar! Kannibalen!«, kreischen die Typen und stolpern ins Haus.
    Balder atmet erst einmal tief aus, dann verbeugt er sich: »Gut gemacht. Du bist in der Tat ein edler Mensch.« Mit seinem Kettenhemd und dem Helm erinnert er mich an einen verschrobenen, vornehmen kleinen Ritter. »Bitte erlaube mir, dein Schicksal aus den Runen zu lesen.«
    »Woraus?«
    »Aus den Runen«, sagt er und zieht einen kleinen Lederbeutel aus der Tasche. »Wir aus dem Norden benützen sie zu unserem Schutz und für Prophezeiungen. Hier.« Er reicht mir den Beutel. »Nimm eine.«
    Ich ziehe einen geschmeidigen

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