Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
sein. Denn auf den Straßen werden alle »Krieg-der-Sterne«-Episoden nachgespielt. Man zeigt sich solidarisch mit den muslimischen Kopftuchträgerinnen, indem man sich mit einer Kufiya vermummt. Man macht Lagerfeuer auf den Straßen und führt Sonnentänze durch. Für die Opfergabe an die höheren Mächte werden Autos und Müllcontainer in Flammen gesteckt. Als Wurfmaterial und Kamelle dienen leere Flaschen und Steine. Die Automobil- und Pharmaindustrie gelten als Garanten für einen sicheren Job; in Berlin sind es die Hersteller von Pflastersteinen.
In Friedrichshain wartet man auf ein übermächtiges Wesen, das die gestörte Harmonie in der Macht im Kiez wiederherstellen soll – und wer, wenn nicht ein Grüner hätte diesbezüglich beauftragt werden können. Seit sechs Legislaturperioden beruft die extraterrestrische Bevölkerung den Ober-Grünen und Jedi-Meister Christian Ströbele zu ihrem Rädelsführer. Im Universum Friedrichshain schätzt man Ströbeles Weisheit und seinen gewissenhaften Umgang mit der Macht. Eine schwarze Macht, die mit ihrem weiblichen Dekolleté den Jedi-Meister zu einem Zweikampf herausforderte, musste eine bittere Niederlage einstecken. Seit Jahren versuchen Kopfgeldjäger und selbsternannte Auserwählte vergebens, den Jedi-Meister von seinem Thron zu stürzen. Ströbele ist eins mit der Macht. Trotzdem versuchen die Schwarzen immer wieder, für sich zu werben, durch Flugblätterverteilung und Informationsstände, und sie nehmen die Gefahr in Kauf, von seinen Anhängern mit Wasser überschüttet zu werden.
Trotz der Angriffe und seines hohen Alters wird der Jedi-Meister nicht müde, mit dem Fahrrad quer durch die fernen Galaxien Berlins zu radeln. Nur wenige wissen, dass sein Fahrrad in Wirklichkeit eine gut getarnte Zeitmaschine ist, mit der er sich wahlweise in die Vergangenheit oder in die Zukunft befördern kann. Ein solches Gefährt ist nur dem Jedi-Meister vorbehalten. Viele wollen ihm die Zeitmaschine entwenden, damit sie in ihre galaktische Heimat zurückkehren können. Mutwillige Zerstörung und Fahrraddiebstähle gehören deshalb zur Tagesordnung im Kiez.
Wegen seines hohen Bekanntheitsgrads hält sich Ströbele vom alltäglichen Leben in Friedrichshain eher fern. Stattdessen verbringt der Jedi-Meister täglich mehrere Stunden im Tempel seines Meditationsraums, auf der Suche nach dem Pfad der Erleuchtung. Doch an jedem 1. Mai ist auch Ströbele dabei, wenn sich die Straßen von Friedrichshain zu einem »Krieg-der-Sterne«-Schauplatz verwandeln. Einmal hatte ich das Glück, dem Jedi-Meister höchstpersönlich an der Warschauer Brücke zu begegnen, als er gerade dabei war, Werbung in eigener Sache zu machen. Sein Kommentar zur Debatte, ob der Satz »Die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch« in das Grundgesetz gehöre, beantwortete Ströbele, wie es sich für einen wahren Grünen Jedi-Meister gehört, der die Interessen der Außerirdischen seines Universums vertritt. Er sagte, die deutsche Sprache habe noch nie mit ihm gesprochen, sondern es würden viele Sprachen in der Bundesrepublik gesprochen. Diese Weltanschauung Ströbeles bestärkte mich in meiner Annahme, dass Ströbele ein Gesandter des Universums ist, denn in seinem Kiez werden tatsächlich viele Sprachen gesprochen.
Das Schengen-Abkommen besitzt dort keine Gültigkeit. Um nach Hause zu kommen, muss ich drei Zollstationen an der Warschauer Brücke passieren. Die Beamten in Punkerkluft befragen jeden Passanten bei der Einreise, ob er etwas zu verzollen habe. Damit die Beamten nicht in den Verdacht der Korruption geraten, wird einem ein Becher entgegengestreckt, der bereits mit einigen Cent-Stücken gefüllt ist. Für das umfangreiche Kulturprogramm, das mir in Friedrichshain geboten wird, zahle ich gerne.
Manchmal weiß ich allerdings nicht, was ich von diesen Zollbeamten halten soll. An sonnigen Tagen nennen sie mich Sulu und lassen mich ohne Gebühr einreisen, an regnerischen Tagen fragen sie mich misstrauisch, wohin ihr Hund abhandengekommen sei. Wann werden die Menschen begreifen, dass Hunde meine Freunde sind und ich meine Freunde nicht esse? Kein Wunder, dass die abgemagerten Hunde hier die Flucht vor ihren Herrchen ergreifen und irgendwo anders Asyl beantragen. Ich kann die Hunde gut verstehen.
Alles in allem aber ist der Kiez eine Go-Area. Ein Leben in Hellersdorf könnte ich mir nicht vorstellen. Das Schutzgeld ist eine gute Investition. Abends komme ich sicher nach Hause, und wer weiß schon, wofür
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