Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
Schülern mit Migrationshintergrund habe.
Nach der Sendung kam ich zu der späten Erkenntnis, dass es mehr Fluch als Segen ist, ein Musterbeispiel gelungener Integration zu sein, dass die vielen Nettigkeiten und gesellschaftskonformen Gesten sich leider nicht in Brot, Lohn und Arbeitsstellen umwandeln. Die Koreaner hätten sich die Araber und Türken zum Vorbild nehmen sollen. Auch die Koreaner hätten BVG-Mitarbeiter schlagen, schlechte schulische Leistungen erbringen, kriminalstatistisch auffallen, vom Beckenrand des Schwimmbads springen und im Tiergarten den Hund am Spieß grillen sollen. Doch dafür ist es nun zu spät. Und wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben.
NEUKÖLLN, NEUKÖLLN
M eine tägliche Dosis Inspiration hole ich mir von den Menschen aus der berühmten Karl-Marx-Straße im berüchtigten Neukölln. Die Karl-Marx-Straße ist für die Neuköllner so etwas wie die Champs-Élysées für die Pariser oder die Kö für die Düsseldorfer. Die jungen Mädchen laufen hier mit Louis–Vuitton-Taschen vom letzten Türkeiurlaub herum oder mit bunten Plastiktüten, auf denen die Logos sämtlicher Lebensmitteldiscounter aus der nahen Umgebung prangen.
In der Karl-Marx-Straße 181 betreibt ein ehemaliger Medizinstudent aus Burma einen asiatischen Lebensmittelladen. Bei ihm kaufe ich Tofu und koreanische Instantnudelsuppen ein. Er ist mit einer Tschechin verheiratet und liebt die Krimis von Håkan Nesser. Bei meinem letzten Einkauf habe ich ihm das Buch »Turbulenzen« von Chang-rae Lee mitgebracht und es ihm geschenkt. Der Protagonist des Buches ist der frühpensionierte Jerry Battle, der über die Erlebnisse seiner Multikulti-Familie erzählt. Wenn in seinem Laden nicht gerade Hochbetrieb herrscht, dann halten wir ab und an einen Smalltalk über Beziehungsprobleme in interkulturellen Beziehungen.
Einige Meter weiter, neben dem Wasserpfeifen-Paradies, verkaufen Inder T-Shirts mit dem Bollywood King Shah Rukh Khan für unschlagbare 1,99 Euro. Zahlreiche Mobilfunk-Shops bieten eine Festnetz-Flatrate in die »Heimat« Türkei für nur 12 Euro an oder Handyverträge mit dem türkischen Mobilfunkanbieter Ay Yildiz. Bei einem Vertragsabschluss zum Ramadan bekommt man sogar doppelte Bonusminuten geschenkt, und manche Dönerläden verkaufen dann den Kebab für nur einen Cent. Der Media Markt wünscht seinen Kunden »Ein gesegnetes Ramadanfest! ( Bayraminiz mübarek olsun )«, und Fotostudios bieten satte Rabatte anlässlich des Zuckerfestes. Statt 29 Euro bezahlt man 9 Euro für ein Porträtfoto, wenn man das Zuckerfest auch feiert. Als ich den Besitzer des Fotostudios fragte, ob dieser Preis auch für mich gelte, antwortete er, ich hätte den vollen Preis zu bezahlen. Als ich erstaunt reagierte, fragte er, ob ich denn Moslem sei, was ich kurzerhand bejahte. Er meinte nur, dass er mir nicht glaube, da ich von der Optik her nicht so recht in das Bild eines Mustermoslems passe. Auch meine Argumente, dass die Koreaner bald ihren Unabhängigkeitstag feierten und das Erntedankfest »Chusok« vor der Tür stünde, halfen nicht, ihn umzustimmen.
Zum Neuköllner Lifestyle gehören auch die deukischen oder deurabischen Konvertiten mit Takke auf dem Kopf, die in libanesischen Restaurants ihren Schawarma bestellen, die Mitarbeiter mit »Salam Aleikum« begrüßen und sich dann die aktuelle deutschsprachige islamische Zeitung durchlesen.
Zwischen den arabischen und türkischen Gaststätten findet sich eine Metzgerei, die neben Blutwurst auch Spanferkel und Lämmer anbietet. Ich bin gerne in Neukölln und verfolge das bunte Treiben auf den Straßen. Es ist authentisch und tiefgründig. Das mag ich hier. An heißen Sommertagen verwandelt sich das Rathaus in die Spanische Treppe Roms. Schließt man die Augen und lauscht, wie die Tauben türkische Volksmusik gurren, dann glaubt man sich mitten in Istanbul.
Vor einem Pfandautomaten im Supermarkt bekam ich einmal ein Gespräch zwischen zwei alteingesessenen Neuköllnern mit.
»Kalle, wie jehts’n dia? Du bist ja doch noch nich tot, so viel wie du jesoffn hast!«
»Wie du siehst, leb ick noch?«
»Wann kommste wieder auf die Bank?«
»Ick hab uffjehört mit dem Saufen.«
»Kalle! Säufste, stirbste, säufste nich, stirbste ooch, also säufste!«
Wenn einem die Sommerhitze aufs Gemüt schlägt, findet man Abkühlung im Columbiabad, das erst kürzlich wegen einer Massenschlägerei unter den Badegästen Schlagzeilen machte. Meine einheimische Bekannte Christine,
Weitere Kostenlose Bücher