Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
schließlich der Stoff, den die Leser wollten. Dann würde man mich mit Kusshand aufnehmen, versicherte man mir.
Aber wie auf die Schnelle ein Problem-Türke, Gangster, Terrorist a.D. oder eine islamkritische Türkin werden? Trotz der Erfolge, die die plastische Chirurgie im 21. Jahrhundert feiert, mochte ich mich keiner Identitäts- geschweige denn Geschlechtsumwandlung unterziehen. Ich gefalle mir so, wie ich bin, auch wenn ich ein paar Pfund zu viel drauf habe. Ich bin eben ein Genussmensch. Ich musste die Leute enttäuschen.
»Koreaner sind gesetzestreue Bürger und genießen den Ruf, der anscheinend doch mehr Fluch als Segen ist, Musterbeispiel gelungener Integration zu sein«, antwortete ich meist.
»Ich will ehrlich zu Ihnen sein«, sagte man mir dann. »Gehen Sie in die Buchhandlungen, und schauen Sie sich die Titel aller Bücher zum Thema Integration an. Was Sie dort vorfinden werden, ist: Türken-Sam: Eine deutsche Gangster-Karriere, Der Antitürke, Der Moslem-TÜV, So wie ich will: mein Leben zwischen Moschee und Minirock, Einmal Hans mit scharfer Soße: Leben in zwei Welten, Jung Erfolgreich Türkisch, Erzähl mir nix von Unterschicht: Die Geschichte einer Türkin in Deutschland, Ganz schön deutsch: Meine türkische Familie und ich, Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime und Der große Bruder von Neukölln: Ich war einer von Ihnen – vom Gangmitglied zum Streetworker.« Und dann riet mir der gute Mann: »Schmeißen Sie Ihr Manuskript in die Mülltonne. Keiner interessiert sich für gelungene Integration in diesem Land.«
Ich hing diesem Gedanken noch etwas länger als nötig hinterher und überlegte kurz, wenn Guantánamo sich bald in Luft auflöst und die Wellness-Umschulungscamps für Terroristen Schule machen, dann werde ich es mir noch einmal gründlich überlegen. Ein Deutschlandtrikot, zwar nicht von Michael Ballack, dafür aber von Gerald Asamoah, habe ich schon, so wie der Kofferbomber von Köln.
BEGEGNUNG MIT THILO SARRAZIN VOR DEM BUCH
W as würden Sie tun, wenn Sie diktatorische Vollmacht besäßen, um in Berlin bis 2020 Dinge so zu verändern, wie Sie es gern hätten?«, fragte der etwas schüchtern wirkende Prototyp eines Yuppie, die Haare penibel zum Scheitel gekämmt, Brille und Bauchansatz, so wie sich die deutschen Personalleiterinnen und Personalleiter ihre künftigen Kollegen wünschen. Und er fragte keinen Geringeren als den politischen Schwergewichtler Thilo Sarrazin.
Die Frage war ganz nach seinem Geschmack. Der ehemalige Finanzsenator Berlins, der Bushido der deutschen Politik, von den Medien gesteinigt, der Elite gelobt wegen seiner polemischen Aussagen gegenüber Hartz-IV-Empfängern und Migranten, wirkte ruhig und gelassen, als hätte er keine andere als diese Frage erwartet. »Ich bin so wenig Prophet wie Sie und kann nicht voraussehen, wie Berlin 2020 aussehen wird«, erwiderte Sarrazin beinahe bescheiden, streckte dabei die Beine aus und faltete die Hände gekonnt wie zum Gebet, so, wie es Intellektuelle tun, wenn sie den Anschein erwecken wollen, tiefgründig über eine Sache nachzudenken.
Im Jahr 2020 ist Sarrazin 75 Jahre alt. Innere Ruhe kehrte in mir ein. 2020 wird er kein Amt mehr ausführen. Es sei denn, Sarrazin verfügt über solch exzellente Gene wie Jopie Heesters.
Der Unterschied zwischen guten und schlechten Entertainern liegt darin, dass die guten wissen, wann sie die Bühne zu verlassen haben. Die Bühne ist voll von Politikern, und der Kampf um einen Eintrag in die Geschichtsbücher erfordert erbarmungslose Kreativität. Eine unauslöschliche Verknüpfung mit seinem Namen, wie Walter Riester mit der Riester-Rente oder Peter Hartz mit Hartz-IV, kann Sarrazin kaum noch erlangen – dachte ich. Um eine Doktrin zu erklären, spielt Sarrazin auf der weltpolitischen Bühne eine zu kleine Nebenrolle. Für eine Agenda, die nach ihm benannt werden könnte, fehlt ihm das nötige Bundesprofil. Zu einem Mythos kann Sarrazin auch nicht werden, dazu hätte er jung und an einer Überdosis Heroin sterben müssen. Ich wünsche Sarrazin von Herzen ein langes Leben. Ich hoffe, dass er sich gesund ernährt und 100 wird und von türkischstämmigen Krankenpflegerinnen mit Kopftuch umsorgt wird.
»Aufhören, wenn es am schönsten ist«, lautet eine Volksweisheit. Vielleicht erweist sich der ein oder andere Doktorand als gnädig und widmet Sarrazin zumindest eine kleine Fußnote in seiner Promotionsarbeit, dachte ich.
Sarrazin hat eine steile Beamtenkarriere hinter
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