Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
vollem Mund. Wir ließen uns diesen Abend durch die Umstände nicht vermiesen. Herzhaft lachten wir über unsere Geschichten aus dem Alltag, tranken reichlich vom teuren Wein auf unsere Zukunft und hofften, dass der nächste Tag ein vielfältiger und gemeinsamer werden würde.
Doch auch am Tag der Konferenz im Schloss Bellevue gab es dieselben homogenen Kreise. Sie tranken Kaffee unter sich, diskutierten unter sich und saßen unter sich. Wozu sind sie da, fragte ich mich, wenn sie nur ihre eigenen Kreise bilden? Und als ich die Sitzhaltung der Gladiatoren in den ersten beiden Reihen beobachtete, wurde es mir schlagartig bewusst: Sie sind nicht wirklich hier, um die Integration in diesem Land voranzutreiben, sondern weil sie sich als gönnerhafte Elite des Landes sehen, in der es selbstverständlich ist, vom Bundespräsidenten in sein Schloss eingeladen zu werden, gemeinsam zu dinieren, zu scherzen und so bestätigt zu bekommen, ganz oben auf der Leiter der Republik angekommen zu sein. Ich hatte genug gesehen von der Zurschaustellung und zückte meinen iPod aus dem Jackett. Es lief Jimi Hendrix, Castles made of sand.
VERDIENSTORDEN FÜR DREI EURO
E ine Gesellschaft kann sich über Nacht wandeln. Schon das Anheften anderer Abzeichen oder das Tragen einer neuen Uniform bedeutet Veränderung. Das, was richtig war, kann plötzlich falsch und unrecht sein.
Dessen werde ich mir bewusst, wenn ich sonntags am Berliner Ostbahnhof zum Trödelmarkt gehe. Es sind vor allem die alten Bücher, die mich dort hinziehen, aber auch die Orden und Abzeichen der ehemaligen DDR. Neben unzähligen Uniformen der Volkspolizei und FDJ stehen auch zahlreiche Abzeichen zum Verkauf. Ein netter Verkäufer erklärte mir einmal einige der Medaillen. Er zeigte mir das Abzeichen für den Helden der Arbeit, den Helden der DDR, eine Medaille für langjährige Pflichterfüllung zur Stärkung der Landesverteidigung der DDR, eine Medaille für ausgezeichnete Leistungen in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse, einen Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland und noch viele andere.
Manchmal stoße ich beim Stöbern auch auf alte Schriftstücke, Anstecknadeln und Uniformen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Ich frage mich dann immer, wer diese Orden wohl einst getragen hat und was diejenigen dafür geleistet haben. Einst so begehrt und stolz getragen, liegen sie nun glanzlos in Plastikschatullen zum Verkauf. Ich habe für drei Euro eine DDR-Medaille »Für treue Dienste« erworben. Der ältere Herr wollte mir die ganze Palette von Abzeichen und Orden für 50 Euro andrehen. Ich winkte höflich ab.
Die richtigen Menschen kriegen das Verdienstkreuz posthum verliehen und die falschen, wenn sie noch am Leben sind. Für manche Menschen spielt so ein Orden eine große Rolle. Bei Staatsbanketten des Bundespräsidenten oder bei anderen hochrangigen politischen Festivitäten stellen Verdienstkreuzträger die kleine Anstecknadel an ihren Jacketts gerne zur Schau. Zum Glück ist die russische Mentalität nicht weit verbreitet, sich mit allen Orden, die man jemals erhalten hat, zu schmücken, so dass man als Zuschauer Angst haben muss, derjenige könne vom Gewicht der Medaillen vornüberfallen.
Wenn ich Zeuge dieser Verdienstkreuzshows werde, dann stelle ich mir die Frage, ob dieses kleine Stück Blech vielleicht doch einen besseren Menschen aus einem macht oder die Träger dem Himmel ein Stück näher bringt. Man kann gespannt sein, ob diese Bundesverdienstkreuze genau so enden wie die Abzeichen und Orden aus der DDR, nämlich auf den Trödelmärkten dieser Republik.
Seoul-Onkel ist auch Verdienstkreuzträger, allerdings der Republik Korea. Viele bedeutende Hochhäuser und Brücken im Land tragen seine Handschrift. Doch es käme Seoul-Onkel nie in den Sinn, wie auf einer Fashionshow seinen Orden zur Schau zu tragen. Dieses Stück Blech hat keine Bedeutung für ihn. Ich bewundere seine Bodenständigkeit. Sein Verdienstkreuz liegt irgendwo verstaubt in einem Karton. Ich bin ohnehin der Meinung, dass die größte Auszeichnung, die man in der Bundesrepublik bekommen kann, nicht das Bundesverdienstkreuz ist, sondern wenn ein waschechter Berliner auf einen zukommt und einem, anerkennend für das, was man tut, die Hand schüttelt. Das ist die größte Auszeichnung, die man im Leben bekommen kann.
Nach dem Fall der Mauer setzte der Neoliberalismus seinen Siegeszug Richtung Osten fort. Er stellte ein Räumungsverkauf-Schild auf. Alles muss raus! Der Palast der
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