Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
Obst und Gemüse vom türkischen Händler um die Ecke sind extra frisch, und manchmal wird mir die ein oder andere grüne Peperoni mehr in die Tüte getan, mit einem Augenzwinkern. Dem koreanischen Bruder, im Geiste vereint, soll es an nichts mangeln. Wie kann ich also dagegen sein, wenn die Türken, wie Sarrazin behauptet, »Deutschland erobern, genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate«. Ich plädiere für mehr Türken in Deutschland.
»Damit muss man umgehen! Ich habe keine Lösung dafür und biete auch keine an! Das muss man erst einmal auf sich einwirken lassen. Damit muss man leben. Damit muss man umgehen«, mit diesen Worten schloss Sarrazin seinen Vortrag. Und ich dachte bei mir, die Kosovaren sind seit Sarrazins Interview sicher ins Visier der Ausländerbehörden gerückt. Man wird es mit der Angst zu tun bekommen haben. Unter politischem Druck wurde ein Rückführungsabkommen vereinbart. Die Kosovaren sollen gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen.
»Wie kann es sein, dass viele hochqualifizierte Asiaten mit deutscher Staatsbürgerschaft es dennoch nicht schaffen, in repräsentativen Stellen anzukommen?«, fragte ich Sarrazin in der anschließenden Fragerunde. Man benötige bis zu drei Generationen, um anzukommen, antwortete Sarrazin.
Während des Ramadans meldete sich Sarrazin wieder zu Wort. Schon vor dem Fastenfest hatte ich mit meinen muslimischen Freunden darüber gescherzt, Sarrazin würde wohl die Gunst der Stunde nutzen, um einen weiteren Angriff gegen meine vom Hunger geschwächten muslimischen Schwestern und Brüder zu starten. Und so kam es auch. Er hatte sein Hobby zum Beruf gemacht und neben seinem Job bei der Bundesbank, der ihn offenbar nicht auslastete, ein Buch über Integration geschrieben. Und allmählich wird mir klar, wonach Sarrazin strebt. Er kämpft nicht um einen Platz im Geschichtsbuch. Möchte er, wie einst Churchill, den Literaturnobelpreis?
SARRAZIN NACH SEINEM BUCH
N icht alles, was Sarrazin behauptet, ist falsch«, entgegneten mir viele einheimische Deutsche, als wir auf den Bestseller »Deutschland schafft sich ab« zu sprechen kamen. Als ich nachhakte und fragte, welche genau von seinen Thesen richtig sei, blieben ihre Münder stumm.
Nach der Wende habe ich diese unglaubliche Welle des Ausländerhasses miterlebt und auch selbst zu spüren bekommen. In meinem Geburtsland war ich plötzlich nicht mehr willkommen. Menschen machten mich darauf aufmerksam. Im Osten war es am schlimmsten. Asylantenheime standen in Flammen, Ausländer wurden beschimpft, verprügelt und durch die Straßen gejagt. Menschen, die ich kannte, rasierten sich von heute auf morgen die Haare ab, um auf dieser rechten Welle mitzuschwimmen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie Steine auf Asylanten schmissen, und ich habe vergeblich versucht, es zu verhindern. Rostock-Lichtenhagen habe ich nie aus meinem Gedächtnis gelöscht. Ich habe Rostock bis heute nicht verziehen, auch wenn ich von den Anschlägen nicht unmittelbar betroffen war. Seit Rostock weiß ich, dass es sich jederzeit wieder ereignen kann.
In einer Emnid-Umfrage stimmten 51 Prozent der Befragten mit den Gedankengängen Sarrazins überein. Buschkowsky, der Oberbürgermeister von Neukölln, nannte in der BILD sogar 95 Prozent, die sich im Gleichklang mit Sarrazin sähen. Ich frage mich, wie viele lautlose Sarrazins in ihren stillen Kämmerlein noch klammheimlich applaudieren und der Öffentlichkeit Empörung vorgaukeln, weil man diese Haltung von ihnen erwartet. Wie viele von den lautlosen Sarrazins sind in den Regierungsinstituten für Personalentscheidungen zuständig? Mein Bekannter Hyo-jin hat mir einmal gesagt, dass er trotz koreanischer Staatsbürgerschaft in seiner Kindheit wie ein Deutscher behandelt wurde. Nun habe er einen deutschen Pass und werde wie ein Ausländer behandelt.
Renate Künast meldete sich zu Wort, Erhart Körting bekam das Wort erteilt, Ulrich Wickert äußerte sich dazu, Klaus Bade vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration kritisierte, der Bundesminister für Arbeit und Soziales a.D. Olaf Scholz monierte sanft, der Medienexperte Jo Groebel gab seinen Senf dazu, Sarrazins Parteikollege Rudolf Dreßler empörte sich, der Außenminister Guido Westerwelle mischte sich reichlich verspätet in die Debatte ein mit der Begründung, selbst einer Minderheit angehörig zu sein, der Historiker Arnulf Baring sympathisierte, und mitten hinein in die
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