Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
nur selten vorschreiben, wen sie heiraten. Ich kenne eine koreanische Frau, die gegen den Familienwillen einen Türken geheiratet hat und zum Islam konvertierte. In meinem Bekanntenkreis gibt es sehr viele koreanische Frauen, die mit deutschen Männern liiert oder verheiratet sind. Koreanische Eltern in Deutschland, die gedanklich noch im Korea der Fünfzigerjahre leben, akzeptieren die Entscheidung der Kinder nur dann, wenn sie vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Wenn man in eine koreanische Familie einheiraten möchte, muss man vor allem das Herz des Vaters im Sturm erobern und seinen Verstand rauben. Das kann man nur mit einer exzellenten Bildung, einem gutbezahlten, ehrenwerten Job und einem soliden familiären Hintergrund. Nicht nur in Kanada gibt es für zuziehende Neulinge ein Punktesystem, sondern auch unter koreanischen Familien in Deutschland, wenn nicht sogar weltweit. Je höher die Bildung und der Status, desto höher schlägt auch das Herz des Vaters. In Zeiten der Globalisierung und der beruflichen Flexibilität ist es ein schwieriges Unterfangen, gerade als Deutscher mit koreanischem Hintergrund, in allen drei Kriterien eine hohe Punktezahl zu erreichen. Von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt möchte der Vater nichts hören. Er will nur Fakten und Resultate vorgelegt bekommen. Der Vater wird den Teufel tun und dem Schwiegersohnkandidaten irgendwelche Hilfestellung leisten. Schließlich ist er nicht der Bittsteller, der sich die Zustimmung der Familie einholen muss. Im Zweifel heißt es für den Vater immer »gegen den Angeklagten«. Aber umgekehrt ist es auch nicht viel einfacher, dem Vater zu erklären, dass man jemanden kennengelernt hat, den man der Familie vorstellen möchte. In koreanischen Familien ist dieses Vorstellen eine ernsthafte Sache und wird nicht so lax gehandhabt wie in deutschen Familien.
Mit diesem Vorwissen überlegte ich schon seit geraumer Zeit, wie ich es Vater beibringen könnte, wenn es bei mir so weit wäre. Ich bin sehr froh, dass ich Olga und Wladimir meine Sorgen anvertrauen konnte. Wenn ich ab und an bei meinen Eltern in Krefeld bin, dann lässt Vater es sich nicht nehmen, aus heiterem Himmel heraus Kommentare abzugeben. Letztens, als ich in meinem alten Kinderzimmer am Computer E-Mails abarbeitete und Vater sich im Bad rasierte, rief er mir auf Koreanisch zu: »Martin! Mach mich nicht traurig!«, als hätte Vater eine Vorahnung. Eltern, besonders koreanische, verfügen über einen siebten Sinn. Wenn ich im sicheren Berlin bin, scherze ich oft mit Vater, indem ich ihm gratuliere, dass er nun Opa geworden sei. Ich möchte damit herausfinden, wie Vater auf diese Nachricht reagiert. In dieser Hinsicht versteht Vater keinen Spaß und winkt sofort ab, indem er »Opa! Nein! Nein!« sagt.
Als Politikwissenschaftler dachte ich über verschiedene Strategien nach, wie man das Herz und den Verstand Vaters erobern könnte, bis Wladimir mir auf die Sprünge half. Wladimir erklärte mir, dass ich meinen Vater in einer ruhigen Stunde fragen solle, was ein Mann neben der Arbeit im Leben brauche. Vater sollte nämlich von allein darauf kommen, dass es die Liebe im Leben ist, die ein jeder Mensch braucht. Im zweiten Schritt, so Wladimirs Idee, sollte ich Vater meine Liebe beteuern und ihm erklären, dass ich ihn im Leben brauche wie die Luft zum Atmen. Im letzten Schritt, wenn ich Vaters Herz und Verstand umgarnt hatte, könne ich ihm die Nachricht aller Nachrichten überbringen.
Als hätte Vater geahnt, dass ich etwas in dieser Art ausheckte, rief er mich kurz darauf in Berlin an. Er sagte auf Koreanisch: »Sohn! Mach mich nicht traurig! Leb so weiter, ohne mich zu vermissen! Eins und eins darf nicht eins ergeben. Eins und eins muss zwei ergeben!« Vater meinte damit, dass meine zukünftige Frau gebildet, der deutschen Sprache mächtig sein, gut zu den Schwiegereltern und einer beruflichen Tätigkeit nachgehen müsse und sich nicht auf die Rolle der Hausfrau beschränken dürfe.
Ich antwortete auf Deutsch: »Vater! Wem sagst du das?! Wir leben in einem Land, in dem aus 2 + 4 = 1 wurde!«
Vater meinte nur kalt: »Das weiß ich nicht!«
Ich bin gespannt, was für ein Argument mich demnächst von Vater erwartet. Manchmal, aber auch nur manchmal, fühle ich mich wie eine Muslimin, gefangen zwischen Moschee und Minirock.
VATERS RÜCKKEHR IN DIE ALTE HEIMAT
V ater war schon fast zwei Jahrzehnte nicht mehr in seiner alten Heimat Korea gewesen. Er sah keinen triftigen Grund mehr,
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