Ohne Gnade
Treppe blieb er stehen, kehrte um, ging den Korridor entlang und drückte die Klinke der letzten Tür nieder. Sie öffnete sich auf eine schmale, dunkle Treppe. Er lief schnell hinunter. Durch die Dunkelheit drangen Küchengerüche herauf. Unten stand er in einem düsteren Gang vor einer Tür. Er öffnete sie und trat in den Durchgang neben dem Hotel.
Um Zeit zu sparen, nahm er am City Square ein Taxi. Lazers Wohnung war nicht weit von der Universität entfernt, in einem Bezirk mit hohen, alten Häusern, die meist zu billigen Pensionen umgebaut oder in Mietwohnungen aufgeteilt worden waren.
Garvald ging auf einem schmalen Weg durch den ungepflegten Garten und stieg ein paar Stufen zu einer großen Veranda hinauf. Er ließ den Blick über die Namensschilder unter den Klingelknöpfen gleiten. Irgendwo im Haus konnte er Gelächter und Musik hören.
Chuck Lazer hatte die Wohnung 5 im dritten Stock. Garvald öffnete die Tür und betrat das Vestibül. Als er sie hinter sich schloß, ging auf der rechten Seite eine Tür auf, Musik und Lachen fluteten heraus. Ein junger Mann mit einer Kiste voll leeren Flaschen tauchte auf. Er trug einen Bart. Seine Haare hingen wirr in die Stirn.
Garvald blieb vor der Treppe stehen.
»Chuck Lazer ist nicht zufällig bei Ihnen?«
»Guter Gott, nein«, erwiderte der junge Mann. »Schnaps und Weiber, mehr wollen wir nicht. Chuck hat einen anderen Geschmack. Wahrscheinlich finden Sie ihn in seinem Loch.«
Er verschwand am Ende des Korridors. Garvald stieg die Treppe hinauf und fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte.
Im dritten Stock war die Musik nur noch undeutlich zu hören. Garvald betrachtete die Namenskarte an der Tür, lauschte einen Augenblick und klopfte. Nichts rührte sich. Er drückte die Klinke nieder. Die Tür ging auf.
Der Gestank war beinahe unerträglich, ein Gemisch aus Schweiß, Urin und Kochdunst, verstärkt durch einen undefinierbaren Geruch.
Er knipste das Licht an und schaute sich in dem schmutzigen, unaufgeräumten Zimmer um. In dem schmalen Bett an der Rückwand lag ein halbnackter Mann, mit dem Gesicht nach unten. Garvald öffnete ein Fenster, sog die feuchte, neblige Luft tief ein, zündete sich eine Zigarette an und wandte sich wieder dem Bett zu.
Auf dem kleinen Nachttisch lagen Gerätschaften, die deutlich Aufschluß darüber gaben, was sich hier zutrug. Eine Injektionsspritze mit mehreren Kanülen. Die meisten davon waren schmutzig und stumpf. Heroin- und Kokainfläschchen, beide leer, ein Glas halb voll Wasser, eine kleine Phiole mit geschwärzter Unterseite und eine ganze Anzahl angekohlter Streichhölzer.
Der nackte, über den Bettrand herabhängende Arm war mit Einstichpunkten übersät. Manche davon hatten sich nach einer Entzündung verschorft. Garvald atmete tief ein und drehte Lazer auf den Rücken.
Das Gesicht des Amerikaners war eingefallen, von Unterernährung gezeichnet. Ein dunkler Bart verlieh ihm das Aussehen eines ausgemergelten Heiligen. Er drehte den Kopf hin und her. Garvald schlug ihm ins Gesicht. Die Lider zuckten krampfhaft und öffneten sich. Die dunklen Augen starrten ins Leere.
»Chuck, ich bin's«, sagte Garvald. »Ben Garvald.«
Lazer sah ihn an, ohne ihn zu erkennen. Garvald steckte ihm seine Zigarette zwischen die Lippen. Lazer sog daran und begann verzweifelt zu husten. Die krampfhaften Stöße schienen seinen Körper zerreißen zu wollen. Als er endlich aufhören konnte, zitterte er am ganzen Leib, und seine Nase lief.
Garvald legte ihm eine Decke um die Schultern.
»Ich bin's Chuck, Ben Garvald«, wiederholte er.
»Hab' dich schon verstanden, Dad, klar und deutlich.« Lazer begann wieder zu zittern und wickelte die Decke fester um sich. »Mensch, ich brauche eine Ladung. Lieber Gott, ich brauche dringend eine Ladung.« Er atmete tief und ruckhaft ein, als wolle er sich mit aller Kraft zusammennehmen, dann hob er den Kopf und sah Garvald an.
»Lange nicht gesehen, Ben.«
»Vielen Dank für die Briefe.«
»Es gab ja nichts zu sagen.«
»Ach, ich weiß nicht. Was ist mit Bella?«
»Eine Dirne, Benny. Eine wunderschöne Dirne, immer für den da, der das meiste Geld hat.«
»Sie hat wieder geheiratet, wie ich höre.«
»Den großen Goldschatz, Benny. Hast du das nicht gewußt?«
»Wer ist der Glückliche?«
»Harry Faulkner.«
»Harry Faulkner?« Ben zog die Brauen zusammen. »Er muß doch an die Sechzig sein.«
»Mindestens, aber er ist ein großer
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