Ohne Gnade
Garvald. Sie ließ sich von Ben scheiden und heiratete vor einem Jahr Harry Faulkner.«
»Den Buchmacher?«
»Ins Gesicht dürfen Sie ihm das nicht sagen. Wettsportberater klingt viel besser. Seit Jahren hat er sich die Hände nicht mehr mit Wetteinsätzen schmutzig gemacht. Bei ihm stecken viele Eisen im Feuer. Er betreibt sogar seinen eigenen Fußballtoto.«
»Nicht nur«, sagte Nick. »Wenn ich mich aus meiner Zeit bei der Schutzpolizei recht erinnere, gehört ihm die Hälfte der ›öffentlichen Häuser‹ am Gascoigne Square.«
Grant schüttelte den Kopf.
»Das versuchen Sie erst mal zu beweisen. Außerdem geht uns das im Augenblick nichts an. Wir haben uns mit Ben Garvald zu befassen.«
»Ist er in der Stadt?«
»Das sollen Sie eben feststellen, und zwar möglichst schnell. Offenbar hat er seiner Frau gegenüber die gängigen Drohungen ausgestoßen, als die Scheidung ausgesprochen wurde. Sie befürchtet, er könne plötzlich auftauchen und ihr paradiesisches Dasein stören. Vor allem heute. Sie gibt für Harry in St. Martin's Wood, wo sie ihr Haus haben, eine große Gesellschaft. Er hat nämlich Geburtstag.«
»Wie rührend«, meinte Nick. »Hat sie Anzeige erstattet?«
»Ihre Schwester war hier. Jean Fleming. Sie ist Lehrerin und betreibt eine eigene Privatschule an der York Road, nahe der Stadtgrenze.«
Nick hatte Grants Schreibblock zu sich herangezogen und machte sich Notizen. Er hob den Kopf und zog die Brauen zusammen.
»Fleming – Jean und Bella Fleming. Ob das wohl dieselben sind?«
»Sie sind beide in der Khyber Street aufgewachsen, südlich vom Fluß.«
»Genau«, sagte Nick. »Meine Mutter hatte um die Ecke einen Laden, in der Hull Road. Ich lebte bis zu meinem zehnten Lebensjahr dort, dann zogen wir in eine größere Wohnung nach Brentwood.«
»Sie erinnern sich an die beiden?«
»Bella kann man nicht so leicht vergessen. Sie war im ganzen Viertel bekannt. Die meisten Männer warteten nur darauf, daß sie vorbeiging. Muß wirklich toll gewesen sein. Ich war noch zu jung und wußte nicht, was mir da entging.«
»Und Jean?« fragte Grant.
Nick zuckte die Achseln.
»Ein Gerippe, ungefähr in meinem Alter. Wir haben uns gerade so eben gegrüßt. In unserem Geschäft kauften sie nicht ein, weil meine Mutter keinen Kredit gab.«
Die Tür ging auf, und Brady kam herein, ein paar Akten unter dem Arm. Ohne Nick zu beachten, sagte er zu Grant: »Wo soll ich sie hinbringen?«
»Nebenan.« Grant sah Nick fragend an. »Brauchen Sie Hilfe? Viel Zeit haben Sie nicht.«
»Ganz, wie Sie meinen«, sagte Nick, der Brady ebensowenig beachtete.
»Gut, Jack kann Sie eine halbe Stunde unterstützen. Wenn Sie einen Rat brauchen, kommen Sie ruhig herein.«
Er zog eine Akte an sich. Nick stand auf und ging in das große Büro. Während er seinen Regenmantel auszog und ihn an einen Garderobenständer hängte, warf Brady die Akten auf einen der Schreibtische.
»Was soll ich machen?« fragte er tonlos.
»Kommt darauf an«, erwiderte Nick. »Was haben Sie da alles?«
»Garvalds Akte und die Unterlagen über alle Personen, die ihm nahestanden.«
»Fein«, sagte Nick. »Garvald übernehme ich selbst, und Sie fertigen von den anderen Auszüge an.«
Brady erhob keine Einwendungen. Er ließ Garvalds Akte auf dem Schreibtisch liegen, raffte die übrigen zusammen, ging zu seinem eigenen Schreibtisch in der Ecke und machte sich sofort an die Arbeit.
Nick schlug Garvalds Akte auf und studierte den Ausweis. Das Gesicht auf dem Paßfoto war hart, fast brutal, aber es verriet innere Stärke und Intelligenz. Ein hochgezogener Mundwinkel deutete sogar Humor an.
Wie üblich, enthielt die Karteikarte nur knappe Einzelheiten. Erwähnt waren nur Straftat und Anklagegrund für die letzte Verurteilung Garvalds: Einbruch in eine Fabrik und Raub von 15817 Pfund, Eigentum der Steel Amalgamated Ltd., Sheffield.
Die beigefügten, vertraulichen Unterlagen erzählten eine interessantere Geschichte.
Ben Garvald hatte während des Krieges zwei Jahre bei der Marine-Kommandotruppe gedient und war 1946 ausgemustert worden. Drei Monate später trat er eine einjährige Gefängnisstrafe wegen versuchten Raubes an.
1949 hatte man eine Anklage wegen versuchten Postraubs. fallen lassen, weil das Beweismaterial nicht ausgereicht hatte. 1950 war er als Reservist eingezogen und nach Korea geschickt worden. Eine Granatsplitterverletzung am Bein führte
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