Ohne Gnade
auf Nicks Schreibtisch, ging zu Grants Tür, öffnete sie und steckte den Kopf hinein.
»Kann ich jetzt Pause machen?«
Grant schaute auf die Uhr.
»In Ordnung, Jack. Bis Mitternacht dann.«
Brady schloß die Tür, nahm seinen Regenmantel vom Haken und zog ihn an, während er in den Korridor hinaustrat. Am Lift blieb er stehen und drückte mehrmals ungeduldig auf den Knopf.
Wenn Ben Garvald in der Stadt war, gab es einen Ort, den er ganz sicher aufsuchen würde, eine Person, bei der er auf jeden Fall auftauchen mußte. Das ergab sich für jeden erfahrenen Menschen ganz deutlich. Wenn er dort war, würde er – Jack Brady – ihn binnen höchstens einer Stunde ins Präsidium geschafft haben, während dieser Schlaukopf Miller durch die Straßen wanderte, um ihn aufzuspüren. Vielleicht nicht ganz uninteressant, zu sehen, was Grant dann zu sagen haben würde. Bradys Erregung wuchs, als er den Aufzug betrat.
5
Etwa zu der Zeit, als Jean Fleming bei Grant saß, sprang Garvald an einer Bushaltestelle am Nordring, der die Stadt mit der Autostraße 1 verband, von einem Lastwagen. Zehn Minuten später bestieg er den ersten Omnibus und verließ ihn eine halbe Meile vor dem Stadtzentrum, um den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen.
Die Fahrt von London aus hätte im bequemen Schnellzugsessel nicht länger als vier Stunden gedauert, aber unter den gegebenen Umständen wäre es zu auffällig gewesen, auf diese Weise in die Stadt zu gelangen.
Es waren Leute zu besuchen, Dinge zu erledigen, alte Rechnungen zu begleichen – vor allem mit Sammy Rosco –, aber zuerst brauchte er eine Operationsbasis.
Er fand das Geeignete ohne große Mühe, ein drittklassiges Hotel in einer Nebenstraße nahe dem Stadtzentrum. Hinter der Empfangstheke saß eine Frau im blauen Nylonkittel und las in einem Magazin. Sie mochte zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahre alt sein und hatte schwarzes Haar und kecke, dunkle Augen.
Garvald lehnte sich an die Theke.
»Was haben wir denn da?«
Sie klappte das Heft zu, ein Glitzern in den Augen, und ging auf seine Stimmung ein.
»Ein armes Mädel aus Irland, das sich in einem harten Land ehrlich durchbringen will.«
»Gratuliere«, sagte Garvald. »Als erstes können Sie mir ein Zimmer geben. Eins mit Bad.«
»Unsere Zimmer sind alle mit Bad«, erwiderte sie gelassen. »In jedem Stockwerk gibt's eins – am Ende des Korridors.«
Sie nahm einen Schlüssel vom Brett, hob die Tischklappe hoch und führte ihn die Treppe hinauf.
Das Zimmer war nicht besser und nicht schlechter als erwartet, mit altmodischen, schweren Möbeln und einem abgenutzten Teppich. In einer Ecke hatte man ein modernes Waschbecken angebracht und die Wand an dieser Stelle gefliest. Er stellte seine Reisetasche auf einen Stuhl, trat ans Fenster und schaute auf die Straße hinunter, während die junge Frau die Bettdecke zurückschlug.
»Haben Sie sonst noch einen Wunsch?« fragte sie.
Garvald drehte sich um.
»Kann ich etwas zu trinken bekommen?«
»Wir haben keine Ausschanklizenz. Ein paar Häuser weiter finden Sie ein Lokal.«
Er schüttelte den Kopf.
»Nicht so wichtig. Ich sollte mich sowieso mal ausschlafen.«
Sie legte den Schlüssel auf die Kommode.
»Wenn Sie etwas wollen, brauchen Sie nur zu läuten. Ich stehe die ganze Nacht zur Verfügung.«
Garvald grinste.
»Ein unwiderstehlicher Gedanke.«
Sie lächelte ihn an und verließ das Zimmer. Garvalds Grinsen verschwand. Er setzte sich auf den Bettrand, zündete sich eine Zigarette an und blätterte im Telefonbuch. Keine Eintragung unter Sammy Rosco. Er zog die Brauen zusammen, starrte vor sich hin und versuchte sich jemand ins Gedächtnis zu rufen, dem er trauen konnte. Jemand von früher, der noch hier sein mochte.
Der Reihe nach verwarf er alle Namen, die ihm einfielen. Am Ende blieb nur Chuck Lazer, der stille Amerikaner. Er hatte als Hauspianist in dem Nachtlokal gespielt, das Garvald und Fred Manton gemeinsam betrieben hatten.
Aber Chuck war sicher nicht geblieben. Er mußte schon vor Jahren in die Staaten zurückgekehrt sein, daran gab es gar keinen Zweifel. Als Garvald aber im Telefonbuch nachschaute, sprang ihm der Name sofort entgegen. ›Chuck Lazer – Baron's Court 15.‹
Er streckte die Hand nach dem Telefon aus, zögerte, besann sich anders. Dergleichen erledigte man besser persönlich. Er setzte seinen Hut auf, verließ das Zimmer und sperrte die Tür hinter sich ab.
An der
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