Ohne Gnade
stieg die Treppe hinauf und trat durch die Glastür, die ihm ein Portier in roter Livree aufhielt.
Ein schwarzhaariger Italiener mit weißer Smokingjacke trat mit verblüffter Miene auf ihn zu. Er versuchte seine Besorgnis durch ein Lächeln zu verbergen, was ihm aber kläglich mißlang.
»Mr. Brady. Was für ein Vergnügen! Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
Brady stand vor ihm, die Hände in den Manteltaschen, und sah sich angewidert um, betrachtete die dicken Teppiche, die elegante Einrichtung in Creme und Gold und das Garderobenmädchen mit seinen schwarzen Netzstrümpfen.
»Ich brauche Manton. Wo ist er?«
»Ist denn etwas passiert, Mr. Brady?«
»Noch nicht, aber es wird gleich etwas passieren, wenn Sie Manton nicht sofort herholen.«
Drei oder vier Gäste, die eben hereinkamen, starrten ihn neugierig an. Der Italiener ging zu einer Tür mit der Aufschrift ›Privat‹ und öffnete sie.
»Mr. Manton dürfte an der Bar sein. Wenn Sie hier warten, suche ich ihn.«
Brady ging hinein. Die Tür wurde hinter ihm geschlossen. Das Büro war nicht viel größer als eine Kammer. Ein Schreibtisch und ein grüner Karteischrank nahmen fast den ganzen Raum in Anspruch. Auf dem Schreibtisch lag eine halbfertige Liste mit der Einteilung des Personals. Brady überflog sie und entdeckte ein paar vertraute Namen.
Die Tür ging hinter ihm auf und fiel wieder zu. Als Brady sich
umdrehte, lehnte Fred Manton an der Tür, im Begriff, sich eine Zigarette anzuzünden. Er war ein großer, schlanker Mann mit breiten Schultern, die in der flottgeschnittenen Smokingjacke gut zur Geltung kamen. Die blauen Augen und der gestutzte Schnurrbart verliehen ihm so etwas wie ein militärisches Aussehen, das bei den Gästen Anklang fand. Viele nannten ihn ›Major‹ und hielten ihn für das Erzeugnis einer der besseren Privatschulen.
Nichts konnte von der Wahrheit weiter entfernt sein, wie Brady wohl wußte. Er legte die Liste auf den Schreibtisch zurück und sah Manton von oben bis unten an, ohne seine Verachtung zu verbergen.
Manton trat hinter den Schreibtisch und zog eine Schublade heraus. Er hielt die Liste hoch.
»Manche Leute könnten vielleicht sagen, daß Sie Ihre Nase in Dinge stecken, die Sie nichts angehen.«
»Sie brechen mir das Herz«, sagte Brady. »Garvald – Ben Garvald. Wo ist er?«
Manton schien ehrlich überrascht zu sein. »Sie werden wohl alt. Der sitzt doch in Wandsworth, soviel ich weiß. Ich dachte, das sei allen Leuten klar.«
»Er ist gestern entlassen worden. Aber davon wissen Sie natürlich nichts, wie?«
Manton zuckte die Achseln.
»Ich habe Ben seit neun Jahren nicht mehr gesehen, seit dem Tag nicht mehr, als er wegen des Raubüberfalls auf die Stahlfabrik in Birmingham verurteilt wurde, oder ist Ihnen das nicht bekannt?«
»In allen Einzelheiten«, gab Brady zurück. »Garvalds Chauffeur kam unerkannt davon. Wir haben ihn nie zu fassen bekommen.«
»Mich brauchen Sie deswegen nicht anzusehen«, meinte
Manton. »Ich war in dieser Nacht zu Hause.«
»Wer sagt das, Ihre Mutter?« sagte Brady verächtlich.
Manton drückte seine Zigarette langsam im Aschenbecher aus und griff nach dem Telefonhörer.
»Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, aber bevor ich noch ein Wort sage, hole ich meinen Anwalt.«
Brady nahm ihm den Hörer aus der Hand und legte ihn auf die Gabel zurück.
»Gut, Manton, Schluß mit dem Geplänkel. Ich brauche Garvald. Wo ist er?«
»Woher soll ich denn das wissen? Hier wird er sich ganz bestimmt nicht blicken lassen, glauben Sie mir.«
»Als wir ihn wegen des Raubüberfalls festnahmen, betrieben Sie gemeinsam mit ihm einen Nachtklub auf der anderen Seite vom Fluß.«
»Stimmt. Das alte ›One-Spot‹. Und?«
»Vielleicht denkt Garvald, daß Sie ihm noch etwas schuldig sind. Oder haben Sie ihn ausbezahlt, als er seine Zeit absaß?«
»Ausbezahlt?« Manton begann zu lachen. »Womit denn? Nachdem man Ben festgenommen hatte, gingen Ihre Kollegen so auf das Lokal los, daß wir nach vier Wochen pleite waren. Ich hatte Schulden wie ein Stabsoffizier. Ben übrigens auch, aber er war ja nicht da, als die Gerichtsvollzieher anmarschierten. Nur ich.« Seine Stimme klang so bitter, daß die ganze Geschichte wahr zu sein schien. Brady schluckte seine Enttäuschung hinunter und unternahm einen letzten Versuch.
»Sie haben oben eine Wohnung, nicht wahr? Da möchte ich mich gerne
Weitere Kostenlose Bücher