Ohne jede Spur
auf.
Die Kassette war leer. Das Geld, die Ausweise – alles weg.
Die Polizei? Sandy? Jemand anders? Er konnte es nicht verstehen. Niemand wusste von dem Versteck. Es war sein Geheimnis für den Notfall, eines, das ihn schlafen ließ, weil es ihm das beruhigende Gefühl vermittelte, jederzeit fliehen zu können.
Und plötzlich, als er sich noch den Kopf darüber zermarterte, wie um alles in der Welt sein Fluchtplan hatte torpediert werden können, gewahrte er etwas anderes. Ein Geräusch, ganz in der Nähe.
Ein Knarren von Holz.
Aus dem Schlafzimmer seiner Tochter.
33. Kapitel
Jason schockierte mich mit seiner Hotelwahl. Ich hatte eine kinderfreundliche Unterkunft der mittleren Preisklasse erwartet. Stattdessen führte er uns in eine Fünf-Sterne-Nobelherberge samt Wellness-Center und riesigem Schwimmbad. Von einem Hotelboy in roter, goldbetresster Uniform begleitet, fuhren wir mit dem Fahrstuhl, der nur mit einer Chipkarte in Bewegung gesetzt werden konnte, hinauf in die höchste Etage zu unserer Zweizimmersuite.
In dem einen Raum mit Ausblick auf den Bostoner Hafen befand sich ein übergroßes Doppelbett mit blütenweißen Laken und so vielen Brokatkissen, dass man damit einen Harem hätte ausstaffieren können. Das Badezimmer war vom Boden bis zur Decke mit rosafarbenem Marmor ausgeschlagen.
Das Zimmer nebenan enthielt ein ausziehbares Sofa, zwei tiefe beigefarbene Sessel und den größten Flachbildschirm der Welt. Als Jason erklärte, dies sei Rees Zimmer, sprangen ihr fast die Augen aus dem Kopf. Und mir auch.
«Super!», kreischte sie und machte sich sofort daran, ihren prallvollen Koffer auszuweiden. Schon nach schätzungsweise
fünf Sekunden waren ein halbes Dutzend Barbiepuppen, rosa Deckchen und zahllose Anziehsachen in der Luxuskemenate verstreut. Lil’ Bunny bekam einen Ehrenplatz in der Mitte des Sofas. «Sollen wir uns einen Film ansehen?»
«Später. Wir ziehen uns jetzt was Schickes an, und dann führe ich meine Herzdamen zum Abendessen aus.»
Ree schrie so schrill vor Freude, dass man um die Fensterscheiben fürchten musste, und ich starrte meinen Mann wieder an wie vom Donner gerührt. «Aber ich hab doch gar nichts Besonderes dabei … ich dachte, wir würden –»
«Ich habe mir erlaubt, ein Kleid und deine Stiefel einzupacken.»
Ich machte große Augen, doch Jason rührte keine Miene. Er führte irgendetwas im Schilde, das spürte ich und erinnerte mich an Waynes Warnung. Vielleicht ahnte Jason, was ich hinter seinem Rücken trieb. Womöglich war er dahintergekommen, dass ich ihn ausspionierte. Wollte er mich jetzt zu Tode verwöhnen, mich in Wellness ertränken?
Ich kehrte in unsere Suitehälfte zurück und zog das schimmernde blaue Kleid an, das Jason für mich eingepackt hatte, wie auch die kniehohen schwarzen Lederstiefel. Für Wayne hatte ich dieses Kleid noch nicht getragen, und ich fragte mich beklommen, ob Jason davon wusste.
Dann stürmte Ree ins Zimmer, drehte in einem purpurnen, mit Blumen bestickten Kleidchen und einer riesigen Schleife im Nacken ausgelassene Pirouetten. «Mommy, mach mir mein Haar. Ich will, dass es ganz toll aussieht.»
Also frisierte ich ihr ein Knötchen und Schläfenlocken. Anschließend machte ich mich selbst zurecht und stellte fest, dass mein fürsorglicher Gatte auch an Make-up gedacht hatte. Ich schminkte Augen und Wangen und malte mir den Mund an. Ree schmollte, weil sie nur ein bisschen Lipgloss bekam, denn sie meinte, dass man, um «super» auszusehen, gar nicht genug Make-up auflegen konnte.
Nun zeigte sich auch Jason in der Tür zum Badezimmer. Er trug eine dunkle Hose, die ich noch nicht an ihm kannte, ein pflaumenfarbenes Hemd und ein dunkles, dezent changierendes Sportjackett. Keine Krawatte. Die beiden oberen Knöpfe standen offen und brachten seinen kräftigen Hals zur Geltung. Mir kribbelte es so heftig im Magen wie seit vier Monaten nicht.
Mein Mann sieht sehr, sehr gut aus.
Unsere Blicke begegneten sich, und plötzlich wurde mir angst und bange.
Ich fürchtete mich vor ihm.
Jason wollte sich die Beine vertreten. Es war ein kalter Abend, aber immerhin trocken. Ein angenehmes Wetter zum Spazierengehen. Ree war sofort einverstanden. Der Familienurlaub schien ihr bislang ausnahmslos gut zu gefallen. Sie ging zwischen uns, hielt Jasons Hand mit der Linken und meine mit der Rechten. Sie zählte, und immer, wenn sie bei zehn angelangt war, mussten wir sie in die Höhe schleudern, wobei sie jedes Mal einen spitzen
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