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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Arbeit gegangen?», will Mrs   Brenda Jane wissen.
    «Ja.»
    «Kein Alkohol, keine Drogen, kein Internet?»
    «Ich arbeite, gehe spazieren und bleibe sauber.»
    «Dann ist doch alles in bester Ordnung. Sie haben natürlich Anspruch auf Rechtsbeistand. Wenn Sie sich Sorgen machen, sollten Sie vielleicht einen Anwalt zu Rate ziehen.»
    «Ich glaube, der Ehemann lässt sich beraten», höre ich mich selbst sagen. Wie komme ich dazu? Es ist wohl wieder dieser verfluchte Hang zu rationalisieren.
Seht her, nicht ich bin das Monster. Er ist es.
    Meiner Gruppe kann ich nichts vormachen. «Ja, ja», erwidern mehrere. «Ist es nicht immer der Gatte?»
    Wendell hat wieder dieses Grinsen im Gesicht. «Nicht, dass sie erst vierzehn wäre   –»
    «Wendell», fährt ihm Mrs   Brenda Jane ins Wort.
    Er markiert den Unschuldigen. «Wollte nur sagen, dass es sich schließlich nicht um ein unmündiges Mädchen handelt.»
    «Mr   Harrington   –»
    Wendell hebt eine fleischige Hand und gibt sich geschlagen. Aber dann, in der allerletzten Minute, wendeter sich noch einmal an mich und sagt etwas sehr Nützliches.
    «Hey, Mann, du arbeitest doch in dieser Kfz-Klitsche, stimmt’s? In deinem Interesse wäre zu hoffen, dass die verschwundene Frau ihren Wagen nicht zu euch in Inspektion gegeben hat.»
    Und plötzlich sehe ich Sandra Jones ganz deutlich vor mir. Sie steht hinter dem grauen Metalltresen im Büro, hat die langen blonden Haare hinter die Ohren gesteckt und reicht Vito lächelnd ihre Autoschlüssel. «Geht klar», sagt der. «Wir werden ihn dann gegen fünf abholen   …»
    Zum zweiten Mal in meinem Leben spüre ich genau, dass ich gerade dabei bin, alles zu verlieren.

8.   Kapitel
    Was macht eine Familie zur Familie?
    Über diese Frage habe ich mir zeit meines Lebens den Kopf zerbrochen. Ich bin in einem typischen Südstaaten-Clan aufgewachsen, hatte eine Mutter, die den Haushalt führte und berühmt war für ihre makellose Erscheinung und den schönsten Rosengarten weit und breit. Ich hatte einen hochangesehenen Vater, ein Mann des Gesetzes, der hart arbeitete, um für seine beiden «reizenden Frauen» sorgen zu können. Ich hatte zwei Dutzend Cousins und Cousinen sowie jede Menge Tanten und Onkel. Unsere Verwandtschaft war so groß, dass die alljährlichen Familienfeste, die in unserem großen Haus, auf der breiten ringsum verlaufenden Veranda und der riesigen Rasenfläche gefeiert wurden, zu einer wahren Zirkusveranstaltung mit drei Manegen ausarteten.
    Die ersten fünfzehn Jahre meines Lebens verbrachte ich damit, dicken Tanten artig zuzulächeln, die meine Wangen zwickten und sich nicht darüber einkriegten, wie sehr ich meiner Mutter gliche. Ich machte meine Hausaufgaben so gründlich, dass meine Lehrer mir den Kopf tätschelten und sagten, mein Vater könne sehr stolz auf
mich sein. Ich ging zur Kirche. Ich passte auf die Kinder der Nachbarn auf, arbeitete nach der Schule in einem Laden und lächelte und lächelte, bis mir die Gesichtsmuskeln wehtaten.
    Zu Hause sammelte ich die leeren Ginflaschen vom Parkettboden auf und tat so, als hörte ich es nicht, wenn meine Mutter betrunken durch den Flur schrie: «Ich weiß was, was du nicht weißt. Ich weiß was, was du nicht weißt   …»
    Ich war zwei Jahre alt, als mir meine Mama eine Glühbirne zu essen gab, um mit mir zum Arzt gehen und ihm sagen zu können, was für ein böses Mädchen ich sei. Ich war vier, als sie mich zwang, meinen Daumen in den Türspalt zu legen, worauf sie die Tür zuknallte, mit mir zum Arzt ging und sagte, wie wild ich sei. Ich war sechs, als sie mir ein Bleichmittel verabreichte, um dem Arzt deutlich zu machen, wie schrecklich es ist, meine Mutter zu sein.
    Meine Mama hat mich gequält, immer und immer wieder, und niemand hat sie davon abgehalten. Waren wir deshalb eine Familie?
    Mein Vater war misstrauisch, stellte aber keine Fragen, selbst dann nicht, wenn er von seiner betrunkenen Frau mit Messern durchs Haus gehetzt wurde. Waren wir deshalb eine Familie?
    Ich wusste, dass meine Mama mir vorsätzlich wehtat, um meinen Vater zu treffen, sagte aber nie etwas. Waren wir deshalb eine Familie?
    Mein Vater liebte sie. Das war mir schon in jungen Jahren klar. Er hielt zu ihr, was immer sie auch tat. Das sei
in einer Ehe eben so, sagte er mir. Und sie wäre ja nicht immer so gewesen, fügte er meist hinzu. Vielleicht hielt er sie für unzurechnungsfähig und hoffte, dass sie einmal wieder so werden würde wie früher.
    Wir taten so, als

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