Ohne jede Spur
gebaut, weder gebrechlich noch zerstreut oder auch nur im Entferntesten vergesslich. Sie passt natürlich auf mich auf, und das wissen wir beide. Aber wir reden nicht darüber, und auch das gefällt mir an ihr.
Ihr zuliebe verstecke ich meine Pornomagazine unter der Matratze so, dass sie sie mit Sicherheit findet. Es erleichtert sie bestimmt zu wissen, dass ihr «junger Mieter» eine gesunde Vorliebe für dicke Titten entwickelt hat. Anderenfalls würde sie sich womöglich Sorgen um mich machen, und das will ich nicht.
Vielleicht hätte mir eine Mutter gutgetan. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Ich weiß es nicht.
Ich führe Colleen in mein kleines Paradies. Sie wirft einen prüfenden Blick in die winzige Kochnische und auf die Sitzecke mit dem von Mrs H. großzügig zur Verfügung gestellten Sofa, das mit einem geblümten Stoff in Pink bezogen ist. Colleen hält sich etwa sechzig Sekunden im Wohnzimmer auf und geht dann ins Schlafzimmer. Mir entgeht nicht, dass sie die Nase rümpft, als sie den Raum betritt, was mich daran erinnert, die Bettwäsche endlich mal wieder zu wechseln.
Was soll’s, denke ich. Frische Bettwäsche kann schließlich auch als Hinweis auf ein schlechtes Gewissen gedeutet werden.
Colleen kehrt ins Wohnzimmer zurück und setzt sich aufs pinkfarbene Sofa. Offenbar pikst sie sich an dem Schoner im Nacken, denn sie fährt ruckartig hoch und starrt für eine Weile auf das gehäkelte Ding. Dann zuckt sie mit den Achseln und lehnt sich vorsichtig zurück.
«Wie läuft’s, Aidan?»
«Ich arbeite, gehe spazieren und besuche meine Therapiegruppe.» Ich bin so zappelig, dass ich lieber stehen bleibe. Ich schnappe an dem grünen Gummiband an meinem Handgelenk. Colleen registriert das, sagt aber nichts.
«Wie läuft’s in der Werkstatt?»
«Kann mich nicht beklagen.»
«Haben Sie neue Freunde, irgendwelche neuen Hobbys?»
«Nein.»
«Waren Sie in letzter Zeit mal im Kino?»
«Nein.»
«In der Bibliothek vielleicht, um Bücher auszuleihen?» «Nein.»
Sie neigt den Kopf zur Seite. «Und in der Nachbarschaft? Gibt es Kontakte? Waren Sie mal bei einem BBQ?»
«Im März?»
Sie schmunzelt. «Mir scheint, Sie führen ein stilleres Leben als eine Kirchenmaus.»
«O ja», versichere ich. «Das kann man so sagen.»
Sie kommt endlich zur Sache, beugt sich vor und pflanzt die Ellbogen auf die Knie. «Wie ich hörte, gab’s in der Nachbarschaft einige Unruhe.»
«Ich habe Cops gesehen», berichte ich. «Sie sind heute Morgen von Tür zu Tür gegangen.»
«Haben Sie mit ihnen gesprochen, Aidan?»
Ich schüttele den Kopf. «Ich musste zur Arbeit. Vito macht mir die Hölle heiß, wenn ich zu spät komme. Und überhaupt», werfe ich abwehrend ein, «ich weiß ja von nichts.»
Sie lächelt, und ich kann sie fast denken hören:
Oh, wenn ich nur jedes Mal, wenn ich diesen Spruch höre, einen Dollar bekäme
.
Ich gehe mittlerweile in kleinen schnellen Schritten hin und her. «Ich schreibe gerade einen Brief», erkläre ich unvermittelt, weil mir auffällt, dass sie mich auf diese typische Bewährungshelferart taxiert, und man will einfach was sagen, wenn eine Amtsperson einen so ansieht.
«Ach, ja?»
«An Rachel», ergänze ich. Sie weiß nicht, wer Rachel ist, es ist ja schließlich ein Pseudonym. Trotzdem nicktsie verständnisvoll. «Ich muss in Worte fassen, wie es sich anfühlt, hilflos zu sein. Ist nicht ganz einfach. Wer fühlt sich schon gern hilflos. Aber ich glaube, ich krieg’s inzwischen ganz gut hin. Ich hab ja auch jede Menge Gelegenheit, mich hilflos zu fühlen.»
«Sagen Sie mir, was los ist, Aidan.»
«Ich war’s nicht! Okay? Ich habe es nicht getan. Aber diese Frau ist verschwunden, und ich wohne nur fünf Häuser weiter weg. Ich bin in dieser verfluchten Datenbank. Das reicht. Game over. Ich kann mir den Mund fusselig reden, mir glaubt ja doch niemand. Ich bin für alle nur ein Perversling, der hinter Gitter gehört.»
«Sind Sie mit der Frau bekannt, Aidan?»
«Nicht wirklich. Ich habe sie ein paarmal gesehen, mehr nicht. Aber sie hat ein Kind. Auch das habe ich gesehen. Ich halte mich an die Regeln. Noch mehr Ärger als ohnehin hab ich nicht nötig. Wenn da irgendwo Kinder sind, mache ich auf dem Absatz kehrt.»
«Es heißt, die Frau wäre sehr schön.»
«Sie hat ein Kind», betone ich, als wär’s ein Mantra, was es zum Teufel ja vielleicht auch ist.
«Auch Sie sind ein hübscher Junge.» Colleen hält den Kopf schief und mustert mich schmunzelnd von
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