Ohne jede Spur
oben bis unten. Aber ich lasse mich nicht bluffen. «Sie leben zurückgezogen, unternehmen nicht viel. Ich kann mir vorstellen, dass das auf die Dauer ziemlich frustrierend ist.»
«Glauben Sie mir, ich hole mir jeden Tag einen runter. Fragen Sie meine Therapeutin. Sie will so was wissen und weiß es.»
Colleen zuckt nicht mit der Wimper. «Wie ist ihr Name?», fragt sie.
«Wessen Name?»
«Der der Frau.»
«Jones, glaube ich. Jones oder so ähnlich.»
Sie mustert mich auf ihre spezielle Art, versucht herauszufinden, wie viel ich weiß oder wie viel sie aus mir herauslocken kann. Ob ich zum Beispiel zugebe, mit dem Mann der verschwundenen Frau gesprochen zu haben, obwohl das Kind zu Hause war. Das ist, wie ich finde, ein Detail, das ich für mich behalten sollte. Eine der Faustregeln für Vorbestrafte: kein freiwilliges Geständnis; lass die Strafverfolger ihre Arbeit allein machen.
«Sie heißt Sandra Jones», sagt sie nach längerer Pause. «Und unterrichtet an der Mittelschule. Ihr Mann arbeitet nachts. Schwieriges Arrangement, tagsüber zu arbeiten, wenn der Partner nachts unterwegs ist. Vielleicht ist auch sie ein bisschen frustriert.»
Ich lasse das Gummi schnappen. Sie hat mir keine Frage gestellt, also werde ich den Teufel tun zu antworten.
«Eine niedliche Tochter.»
Ich sage kein Wort.
«Soll ein bisschen altklug sein. Fährt gerne mit ihrem Dreirädchen durch die Nachbarschaft. Bestimmt haben Sie die Kleine schon mal gesehen, vielleicht auch zweimal.»
«Gut möglich.»
Schnapp, schnapp, schnapp.
«Was haben Sie letzte Nacht gemacht, Aidan?»
«Wie schon gesagt: nichts.»
«Haben Sie für dieses Nichts ein Alibi?»
«Klar, fragen Sie Jerry Seinfeld. Ich war um sieben mit ihm zusammen, wie an jedem Abend.»
«Und danach?»
«Bin ich ins Bett. Ich muss morgens früh raus.»
«Waren Sie allein im Bett?»
«Wenn ich mich richtig erinnere, kennen Sie auch darauf schon die Antwort.»
Sie zieht eine Braue hoch. «Aidan, glauben Sie wirklich, mich mit Ihrem Charme blenden zu können? Machen Sie ruhig so weiter, und die Polizei wird Sie einlochen. Mit Sicherheit.»
«Ich habe nichts getan!»
«Überzeugen Sie mich davon. Reden Sie mit mir. Erzählen Sie mir von dem Nichts, das Sie getan haben, denn Sie sind, wie schon richtig bemerkt, einschlägig vorbestraft und wohnen ganz in der Nähe einer Frau, die verschwunden ist. All das sieht nicht gut für Sie aus.»
Ich lecke mir die Lippen. Lasse das Band schnappen.
Ich bin drauf und dran, ihr von dem Auto zu berichten, tu’s dann aber doch nicht. Wenn ich damit freiwillig rausrücke, sind ruck, zuck die Cops zur Stelle. Lieber abwarten, den Trumpf im Ärmel behalten, bis sie mich in die Zange nehmen. Besser erst dann reden, wenn es sich für mich lohnen kann. Nur ja nichts für lau preisgeben, auch das eine Faustregel für Vorbestrafte.
«Wenn ich etwas getan
hätte
», sage ich schließlich, «wäre mir verdammt nochmal eine bessere Geschichte eingefallen, glauben Sie nicht auch?»
«Ihr Alibi ist, dass Sie keines haben», stellt Colleen fest.
«Ja, so ungefähr.»
Sie erhebt sich vom Sofa, was mich aufrichtig erleichtert. Es scheint, dass ich vielleicht doch überlebe.
Dann fragt sie: «Können wir nach draußen gehen?»
Es war nur ein kurzes Aufatmen. «Warum?»
«Ist doch ein schöner Abend. Ich möchte an die frische Luft.»
Mir fällt dazu nichts ein. Also gehen wir nach draußen, sie ist über eins achtzig auf ihren komischen Plateauschuhen, ich in Jeans und weißem T-Shirt , mit hochgezogenen Schultern. Ich lasse endlich die Finger vom Gummi. Mein Handgelenk ist schon ganz taub und knallrot. Ich sehe aus wie jemand, der versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Bemerkenswert.
Sie geht ums Haus herum in Richtung Hinterhof, sucht, wie ich sehe, den Boden ab. Sie glaubt doch wohl nicht etwa, dass hier blutverschmierte Vorschlaghämmer herumliegen oder ein frisch aufgeworfener Erdhaufen zu entdecken ist?
Ich würde ihr gern ein
Leck mich
an den Kopf werfen, sage aber natürlich nichts. Ich halte den Kopf gesenkt, will nicht aufblicken. Nur ja nichts preisgeben.
Gleich wird sie mir sagen, dass sie mir nur einen Gefallen tun möchte. Dass sie auf mich aufpasst und mich vor Dummheiten bewahren will. Sie will mir doch bloß helfen.
Und plötzlich sehe ich mich auf meinem albernen pinkfarbenen Blümchensofa sitzen und entschlossen schreiben:
Liebe Rachel,
was ich getan habe, tut mir leid. Ich bereue, dir immer gesagt zu haben,
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