Ohne jede Spur
die Empfehlung eines Elternratgebers aufgegriffen und ein kleines Ritual eingeführt. Sie gab Ree stets Bescheid, wenn sie ging, und wenn sie wieder zurückkam, nahm sie ihre Tochter in den Arm und sagte:
«Schau mich an, Ree. Da bin ich wieder. Ich komme immer zurück und würde dich nie im Stich lassen. Nie.»
«Mommy bringt mich ins Bett», schmollte Ree. «Das ist ihr Job. Du gehst arbeiten, und sie bringt mich ins Bett. Geh arbeiten, Daddy. Los, geh!»
«Ree …»
«Ich will nicht, dass du hierbleibst. Du musst gehen. Wenn du gehst, kommt Mommy zurück. Du musst jetzt arbeiten.»
«Ree …»
«Weg. Ich will dich nicht sehen. Du bist blöd.»
«Clarissa Jane Jones!»
«Aufhören, aufhören!» Sie hielt sich beide Ohren zu. «Schrei mich nicht an, ich will nicht, dass du schreist.»
«Ich schreie doch gar nicht.» Doch seine Stimme war lauter geworden.
Seine Tochter tat, als hörte sie ihn nicht. «Wütende Schritte. Ich hab deine Schritte auf der Treppe gehört. Raus, raus, geh raus. Ich will Mommy. Sie muss zu mir zurückkommen.»
Sie riss sich von ihm los und rannte schluchzend nach oben.
Jason ließ sie gewähren. Er hörte seine Tochter durch den Flur stürmen und die Tür zu ihrem Zimmer zuschlagen. Mit einer nur zur Hälfte gegessenen Waffel und schwerem Herzen blieb er allein am Küchentresen zurück.
Seine Frau war seit zwei Tagen verschwunden, und Ree zerbrach daran.
Er wünschte, Sandra wäre tot.
Um genau Viertel vor neun kehrte die Polizei zurück. Jason stand in der Küche und starrte auf den Computer, als sie die Eingangsstufen hochstampften.
Er öffnete die Tür.
Sergeant Warren hielt ihm triumphierend einen Durchsuchungsbeschluss unter die Nase und erklärte in langatmigem Juristen-Fach-Chinesisch, wozu sie befugt waren. Wie vermutet, wollten sie den Computer beschlagnahmen sowie verschiedene elektronische Geräte einschließlich sämtlicher Spielkonsolen, iPods, Black-Berrys und Palm Pilots.
«Was meinen Sie mit Spielkonsolen?», erkundigte er sich, als uniformierte Beamte und Kriminaltechniker ins Haus strömten. Auf der anderen Straßenseite flammten die Scheinwerfer der Übertragungswagen auf.
«Xbox, Gameboys, PlayStation, WiiWare et cetera pp.»
«Ree hat einen Leapster», sagte er. «Wenn Sie meine Meinung interessiert: ‹Pixar Cars› ist besser als ‹DisneyPrinzessinnen›, aber natürlich kann die Kriminaltechnik das besser beurteilen.»
D. D. musterte ihn mit ungerührter Miene. «Der Beschluss gestattet uns, alles zu beschlagnahmen, was wir für wichtig erachten, Sir. Und, ja, wir können tatsächlich besser beurteilen, was wichtig ist und was nicht.»
Die Anrede «Sir» wurmte ihn. «Ree schläft», sagte er. «Sie hatte einen sehr langen Tag. Wenn Sie Ihre Kollegen bitten würden, möglichst leise zu sein …»
Er versuchte, höflich zu klingen, doch sein Ton war gereizt. Auch er hatte einen langen Tag hinter sich, und es sah so aus, als stünde ihm noch eine lange Nacht bevor.
«Wir werden Ihr Haus schon nicht auf den Kopf stellen», erwiderte sie. «Wir nehmen es nur Stück für Stück auseinander, und zwar in aller gebotenen Höflichkeit.»
D. D. winkte einen uniformierten Kollegen zu sich. Officer Anzaldi hatte offenbar den Kürzeren gezogen und würde als Jasons Babysitter fungieren müssen. Er ließ sich von ihm ins Wohnzimmer führen, wo Jason auf dem Sofa Platz nahm. Wie am Vortag, nur diesmal ohne Ree. Ohne seine kleine Tochter, die sich an ihn geschmiegt und mit ihrer Anwesenheit dafür gesorgt hätte, dass er Fassung bewahrte.
Jason schloss die Augen, faltete die Hände hinterm Kopf und war kurz darauf eingeschlafen.
Als er eine Dreiviertelstunde später aufwachte, sah er Sergeant D. D. Warren in kaum verhohlener Wut vor sich stehen.
«Was ist los mit Ihnen?»
«Ich ruhe mich aus.»
«Sie ruhen sich aus? Ihre Frau ist verschwunden, und Sie machen ein Nickerchen?»
«Solange Sie mich hier festhalten, werde ich sie wohl kaum finden können.»
D. D. schien empört. «Mit Ihnen stimmt doch was nicht.»
Er zuckte mit den Achseln. «Fragen Sie bei Gelegenheit einen Kollegen von der Sondereingreiftruppe. Was macht man, wenn man in Alarmbereitschaft versetzt worden ist, aber noch nicht gebraucht wird? Man schläft, um, wenn es so weit ist, frisch zu sein.»
«So sehen Sie das? Sie verstehen sich als Elitekämpfer, der auf seinen Marschbefehl wartet?» Sie schüttelte den Kopf.
«Meine Familie steckt in einer schweren
Weitere Kostenlose Bücher