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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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wiederhole das Ganze. Ich versuche, die Fingerabdrücke allzu vieler Männer von meiner Haut zu waschen, so wie ich versuche, den Eindruck ihrer geilen Visagen aus meinem Gedächtnis zu tilgen.
    Was mir durchaus gut gelingt. Ehrlich, die beiden Jungs der ersten Nacht   … bei einer Gegenüberstellung würde ich
sie nicht wiedererkennen. Und die Episode danach und die danach. Ich kann sie alle schnell vergessen, ihnen aber nicht vergeben, obwohl das keinen Sinn ergibt.
    Ich habe mir für meine Wellness-Nächte etwas Neues einfallen lassen. Wenn ich in mein Hotelzimmer zurückkehre, rolle ich mich auf dem Bett zusammen und schluchze hysterisch. Ich weiß nicht, worüber. Beweine ich mich um die Zukunftsträume, die ich einmal hatte? Meinen Mann und seine Hoffnungen, was uns betrifft? Mein Kind, das mir so süß zulächelt und keine Ahnung hat, was seine Mommy treibt, wenn sie weg ist?
    Vielleicht beweine ich meine Kindheit, die nie erfahrene Zärtlichkeit und Sicherheit, das, was mir vorenthalten wurde und mich immer wieder dazu bringt, mich selbst zu bestrafen, als müsste ich fortsetzen, was meine Mutter begonnen hat.
    Als ich eines Tages vorm Spiegel in meinem Hotelzimmer stand und die blauen Flecken auf meinen Rippen betrachtete, wurde mir klar, dass ich diese Eskapaden nicht mehr wollte. Dass ich mich irgendwie in meinen Mann verliebt hatte. Dass er ebendarum, weil er mich nie berührte, etwas ganz Besonderes für mich war.
    Ich wollte zu Hause bleiben. Ich wollte mich sicher fühlen können.
    Ist doch ein guter Vorsatz, oder nicht?
    Leider fällt es mir schwer, ein sauberes, gesundes Leben zu führen. Ich muss anderen wehtun. Ich will bestraft werden.
    Wenn nicht von mir selbst, dann von einem anderen.
     
    Als ich das Bild auf dem Monitor sah, diese Schwarzweißaufnahme eines unsäglichen Gewaltaktes, begangen an einem kleinen, verwundbaren Jungen, hätte ich sofort meine Sachen packen und mit Ree das Haus verlassen sollen. Das wäre vielleicht klüger gewesen.
    Nicht lange fackeln und zu leugnen versuchen nach dem Motto: Jason ist doch so ein gütiger, verständnisvoller Mann und der beste Vater, den man sich denken kann. Welcher noch so anständige Familienvater hätte schließlich nicht auch seine kleinen schmutzigen Geheimnisse? Wer wüsste das besser als ich?
    Hatte ich mich selbst in den Teufelskreis der Gewalt hineinbegeben, als ich von zu Hause weg- und einem Mann in die Arme gelaufen war, von dem ich dachte, er sei in allen Belangen das Gegenteil meines Vaters, um dann mit Schrecken feststellen zu müssen, dass auch er ein Monster ist? Vielleicht bringen dunkle Saiten einander zum Schwingen. Vielleicht habe ich meinen Mann nicht deshalb geheiratet, weil ich von ihm gerettet werden wollte, sondern weil ich in ihm den Teufel, den ich kannte, an meiner Seite wusste.
    Ich erinnere mich genau an den Moment, als ich das Foto sah. Ich spürte in mir etwas Hässliches angesprochen. Es war wie ein bitteres Wiedererkennen. Mein perfekter Mann war nicht besser als ich, und – Himmel, hilf! – der Gedanke gefiel mir. Er kam wie gerufen.
    Ich sagte mir, du musst es jetzt genauer wissen, der Mann verdient es, dass du nicht vorschnell urteilst. Ein explizites Foto im Papierkorb macht noch keine Bestie. Vielleicht hatte er es zufällig heruntergeladen und dann
sofort gelöscht. Vielleicht war’s ein Pop-up, und er hatte sich sofort davon befreit. Ganz banale Erklärungen, und davon gab es genug, oder?
    Wie dem auch sei, als Jason in dieser Nacht nach Hause kam, fiel es mir nicht schwer, ihm in die Augen zu blicken. Er fragte mich, wie der Tag gelaufen sei, und ich antwortete: «Ganz gut.»
    Ich kann lügen, ohne rot zu werden. So zu tun, als wäre nichts gewesen, kann keiner besser als ich.
    Und ein schrecklicher, wütender Teil in mir war froh, wieder am Drücker zu sein.
    Ich brachte Ree in den Kindergarten und zog meine Gemeinschaftskunde-Stunde in der sechsten Klasse durch. Ich dachte darüber nach, welche Optionen ich hatte.
    Vier Wochen später setzte ich eine davon in die Tat um. Ich war gerade mit einer empirischen Studie über die Zusammensetzung der Schülerschaft beschäftigt und bat meine teure Freundin Mrs   Lizbet um Hilfe.
    Ich fand Ethan Hastings im Computerlabor. Er blickte auf, als ich den Raum betrat, wurde knallrot, und ich wusste, dass ich leichtes Spiel haben würde.
    «Ethan», sagte ich, die hübsche, allseits respektierte Mrs   Jones. «Ethan, ich möchte dich mit einem Projekt betrauen.

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