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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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erkundete die Insel, fegte den Schnee beiseite und fand darunter geschwärzte Holzreste, wo das Feuer gewütet hatte. Mein Dad behauptete, die Insel sei dafür bekannt, dass Teenager sich hier betranken, es miteinander trieben und Gras rauchten. Das Feuer war kein Unfall gewesen. Meine Mum hatte es gelegt. Man hatte im Boot einen Benzinkanister gefunden. Ihre abgelegte Kleidung am Flussufer hatte nach Benzin gestunken. Und der Milchzahn, der verkohlte Zahn – ihr letztes, beeindruckendes Beweisstück – stammte aus ihrem eigenen Mund. Es war einer der Milchzähne meiner Mum, den sie mit anderem Nippes aus ihrer Kindheit in einer verzierten hölzernen Spieluhr aufbewahrt hatte. Mein Dad hielt es für wahrscheinlich, dass der ganze Kasten im Feuer gelandet war. Mum hatte so nah davorgestanden, dass sie Brandblasen bekommen hatte, und zugesehen, wie alles andere verbrannte und der Zahn verkohlte.
    Abends im Haus sah ich die angesammelte Post durch. Zwischen Werbesendungen und einigen überfälligen Rechnungen fand ich zwei Karten für das Santa-Lucia-Fest in der Stadt, das Lichterfest in der dunkelsten Nacht des Jahres und das Gegenstück zum Midsommarfest. Es war typisch für meine Mum, dass sie die Karten so weit im Vorfeld gekauft hatte. Sie war methodisch und durchorganisiert, und vor allem hätte sie das Fest auf keinen Fall verpassen wollen. Die ganze Stadt würde dort sein, darunter auch viele von Mums Verdächtigen.
    Die Tage bis zum Fest verbrachte ich damit, Näheres über Mia zu erfahren. Ich redete mit ihren Lehrern, mit Ladenbesitzern auf der Promenade und sogar Fremden auf der Straße. Die Leute wunderten sich über mein Interesse. Viele hatten von meiner Mum gehört. Die ganze Stadt hatte über sie getuschelt. Aber sie verstanden nicht, warum ich mich nach einem fremden Mädchen erkundigte. Mein Vorgehen war in jeder Hinsicht amateurhaft. Einmal bot ich für Informationen sogar die zweite Lucia-Karte an. So ganz ohne Befugnisse machte ich eine jämmerliche Figur, ich hätte lächerlich gewirkt, wäre ich nicht so verzweifelt gewesen. Am meisten hatte ich mir von meinem Treffen mit Stellan, dem Kommissar, in dem verschlafenen Polizeirevier versprochen. Anders als meine Mum musste ich warten, und er wollte nur auf dem Weg von seinem Büro zu seinem Auto mit mir reden. Dabei wiederholte er nur stumpf, was Håkan schon gesagt hatte: Es gab keine Neuigkeiten. In der Hoffnung, ich könnte bei dem freundlichen Einsiedler mehr Glück haben, stattete ich Ulf einen Besuch ab. Er öffnete die Tür, ließ mich aber nicht herein; mehr als einen kurzen Blick auf die Wand, an der das letzte gestickte Zitat seiner Frau hängen sollte, bekam ich bei ihm nicht.
    Als ich abends mit meinem Dad telefonierte, erzählte er, meine Mum sei so dehydriert, dass sie das Bewusstsein verloren hatte. Die Ärzte hatten erklärt, sie seien dazu verpflichtet, sie mit ausreichend Flüssigkeit und Nahrung zu versorgen. Wenn sie beschlossen, meiner Mum eine Kochsalzinfusion zu legen, und sie sich die Nadel aus dem Arm riss, würde man sie fixieren müssen. Danach sprach ich mit Mark, der kaum etwas sagte. Er hoffte, ich würde von allein beschließen, nach Hause zu kommen.
    Ich war kurz davor aufzugeben und schrieb mir schon Zeiten von möglichen Rückflügen nach London heraus. An diesem Abend klopfte jemand an meine Tür. Es war Doktor Norling. Sein Charme und seine Redegewandtheit waren verflogen, nur der schwache Sandelholzduft war geblieben. Schroff, beinahe schon unfreundlich sagte er, er könne nicht lange bleiben:
    »Sie hätten nicht herkommen sollen. Sie werden hier nichts erreichen. Tilde muss in die Realität zurückfinden. Noch mehr Hirngespinste kann sie nicht gebrauchen.«
    Er deutete auf mein leeres Notizbuch auf dem Tisch:
    »Genau so etwas meine ich.«
    Er fügte hinzu:
    »Sie wissen, dass das Hirngespinste sind, oder?«
    In seiner Frage schwang eine leise Drohung mit, als wollte er auch meinen Geisteszustand anzweifeln – wie die Mutter, so der Sohn. In diesem Moment beschloss ich zu bleiben.
    Wäre meine Mum in Schweden geblieben, wäre Santa Lucia mit Sicherheit ein entscheidender Punkt in ihrer Erzählung geworden, ein wichtiges Ereignis für sie. Ich wollte früh dort sein, mir einen Platz weit hinten sichern und die Leute aus dem Ort beim Reinkommen beobachten, um zu erraten, auf wen meine Mum ihr Augenmerk gerichtet hätte.
    Die Kirche stand an einem freien Platz auf einem kleinen Hügel, dem ältesten und

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