Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
unser Gespräch mitbekam. Leise sagte er:
»Ihr Vater und ich haben uns im Laufe des Sommers angefreundet. Er hat sich Sorgen um Sie gemacht. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich das sage?«
Håkan genügte es nicht, mich anzugreifen. Er wollte auch noch meine Erlaubnis dazu haben.
»Nur zu.«
»Er sagt, beruflich kommen Sie nicht weiter. Ihnen haben so viele Möglichkeiten offen gestanden, die Ihre Eltern nie hatten, aber Sie haben sich keine eigenen Gedanken gemacht, Sie haben einfach den leichtesten Weg genommen und sind in die Fußstapfen Ihrer Eltern getreten. Er hat sich gefragt, ob Sie vielleicht auf Distanz zu Ihrer Familie gegangen sind, weil Sie versagt haben. Sie haben kaum angerufen. Sie sind nie zu Besuch gekommen. Wenn Chris mir von Ihren Ausreden erzählt hat, dachte ich: Dieser Mann lügt. Er will nicht herkommen. Es hat Chris wehgetan, dass Sie nicht hier waren. Tilde auch. Sie haben nicht verstanden, was sie falsch gemacht haben. Ihre Eltern haben befürchtet, Sie würden dieses Jahr überhaupt nicht kommen. Aber wirklich unvorstellbar finde ich, dass Sie dachten, Ihre Eltern wären reich. Ist das wirklich wahr?«
Aus Scham wollte ich erst ausweichend antworten und mich verteidigen, aber am Ende entschied ich mich für ein einfaches Eingeständnis:
»Ja, ist es.«
»Wie kann das sein? Ich habe sofort gemerkt, dass sie Geldprobleme haben. Deshalb habe ich immer für Ihren Vater bezahlt, wenn wir etwas getrunken haben, und deshalb habe ich sie nie gebeten, zu unseren Festen etwas Teures wie Lachs oder Fleisch mitzubringen.«
Neben meiner Demütigung hatte sich die Frage geklärt, warum er meine Mum damals bei dem Grillfest nur um Kartoffelsalat gebeten hatte. Es war eine freundliche Geste mit einer Spur Herablassung gewesen. Håkan unterbrach sich, um meine Reaktion zu beobachten. Ich konnte nichts dagegen sagen. Nach diesem Angriff ging er wieder in die Defensive:
»Niemand macht sich wegen Mia größere Sorgen als ich. Ich habe alles getan, was man von mir erwarten kann. Dass ein Mann das öffentlich bezweifelt, der nichts für seine Eltern getan hat, der nicht einmal wusste, dass seine Mutter bei jedem Schatten Zeter und Mordio schreit, ist, na ja, eine Unverschämtheit. Sie regen meine Frau auf. Sie beleidigen meine Freunde.«
»Ich wollte niemanden beleidigen.«
Håkan zog sich seine Handschuhe an; er schien enttäuscht zu sein, dass der Kampf so einseitig verlaufen war. Aber bevor er ging, fügte ich schnell hinzu:
»Ich will nur ein paar Antworten, nicht für mich, sondern für meine Mum, denn offensichtlich ist es immer noch ein Rätsel, was mit Ihrer Tochter passiert ist. Wir wissen nicht einmal, wie Mia von Ihrem Hof weggekommen ist.«
Vielleicht erkannte Håkan in mir Mums Überzeugungen, denn dieses eine Mal konnte er seine Zunge nicht im Zaum halten:
»Sie haben nicht mal mitgekriegt, dass Ihre eigenen Eltern pleite sind. Und Sie wollen zu was nutze sein? Sie sind nicht hier, um Ihrer Mutter zu helfen, und schon gar nicht, um mir zu helfen. Sie fühlen sich schuldig. Sie wollen Ihr Gewissen beruhigen. Aber dafür dürfen Sie nicht in meinem Leben und in dem der Leute hier herumschnüffeln und uns unterstellen, wir hätten etwas Unanständiges getan. Das lasse ich nicht zu!«
Håkan sammelte sich, um eine letzte Prise Salz in die Wunde zu streuen:
»Im Gegensatz zu vielen anderen hier finde ich nicht, dass man sich schämen muss, wenn man den Verstand verliert. Und vielleicht wusste sie es nicht, aber ich mochte Tilde. Sie war stark. Ihr Problem war, dass sie zu stark war. Sie hätte nicht so gegen mich angehen sollen. Dazu gab es keinen Grund. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ich wäre ihr Feind. Ich hätte ihr Freund sein können. In Ihrem Gesicht erkenne ich Tilde wieder. Aber Sie haben nichts von ihrer Stärke abbekommen. Chris und Tilde haben Sie zu weich gemacht. Man verdirbt Kinder, wenn man sie mit zu viel Liebe überschüttet und verhätschelt. Gehen Sie nach Hause, Daniel.«
Damit ließ er mich im Schnee stehen.
Auf dem Rückweg zum Hof war ich auf Håkan nicht wütend. Seine Bemerkungen waren nicht ganz ungerechtfertigt. In einer Sache irrte er sich allerdings. Ich wurde nicht von Schuldgefühlen angetrieben. Das Ganze war nicht aussichtslos. Die Antworten lagen hier.
Im Haus machte ich mich auf die Suche nach den Wörtern, die meine Mum an die Wand geschrieben haben sollte. In meiner Woche hier hatte ich sie noch nirgendwo entdeckt. Als ich richtig nach
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