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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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gerissen wie ein alter – eine gefährliche Kombination. Schon an diesem ersten Tag fand ich ihn bedrohlich.
    Als er aus seinem finsteren, unterirdischen Versteck kam, stellte ich mich hastig vor. Ich sagte etwas wie: »Hallo, ich heiße Tilde, es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, ich bin auf den Hof unten an der Straße gezogen«, und ja, ich war nervös. Ich redete zu viel und zu schnell. Mitten in meinem freundlichen Geplapper fiel mir die Flagge ein, die ich mir in die Haare gebunden hatte. Ich dachte: wie albern! Ich errötete wie ein Schulmädchen und verhaspelte mich. Und weißt du, was er gemacht hat? Was ist die grausamste Antwort, die du dir vorstellen kannst?

M EINE MUM HATTE SCHON ein paar rhetorische Fragen gestellt, aber jetzt wartete sie auf eine Antwort. Sie wollte mich wieder auf die Probe stellen. Konnte ich mir etwas Grausames vorstellen? Mir fielen mehrere Möglichkeiten ein, aber sie waren so wahllos aus der Luft gegriffen, dass ich sagte:
    »Keine Ahnung.«
    Håkan antwortete auf Englisch. Es war demütigend. Vielleicht war mein Schwedisch ein bisschen altmodisch. Aber wir waren beide Schweden. Warum sollten wir uns in einer anderen Sprache unterhalten? Ich versuchte, weiter mit ihm Schwedisch zu reden, doch er ging nicht darauf ein. Ich verstand das nicht, wollte aber auch nicht unhöflich wirken. Vergiss nicht, zu diesem Zeitpunkt wollte ich mich noch mit ihm anfreunden. Am Ende antwortete ich auf Englisch. Sobald ich das tat, lächelte er, als hätte er einen Sieg errungen. Dann sprach er auf Schwedisch weiter und sagte kein Wort mehr auf Englisch zu mir, solange ich in Schweden war.
    Als hätte er mich nicht gerade beleidigt, bat er mich in seinen Unterschlupf. Er hatte sich dort eine Werkstatt eingerichtet. Auf dem Boden lagen Holzspäne. Scharfe Werkzeuge hingen an den Wänden. Fast überall standen geschnitzte Trolle. Es müssen Hunderte gewesen sein. Einige waren bemalt, andere erst halb fertig – lange Nasen, die aus Holzblöcken ragten und darauf warteten, dass ihnen ein Gesicht geschnitzt wurde. Håkan sagte, er würde sie nicht verkaufen, sondern nur verschenken. Er brüstete sich damit, in jedem Haus in dreißig Kilometern Umkreis würde mindestens ein Troll von ihm stehen, und seine engsten Freunde besäßen sogar ganze Trollfamilien. Verstehst du, was er tut? Er benutzt die Holztrolle als Auszeichnungen, die er seinen engsten Verbündeten verleiht. Wenn man an den Höfen vorbeifährt, stehen die Trolle im Fenster, alle nebeneinander, einer, zwei, drei, vier – Vater, Mutter, Tochter, Sohn, ein ganzes Set, eine ganze Trollfamilie, die höchste Ehre, die Håkan jemandem erweisen kann, und die Leute stellen sie wie Treueabzeichen aus.
    Mir hat er keinen Troll geschenkt. Stattdessen hat er mir das Messer gegeben und mich in Schweden willkommen geheißen. Auf das Geschenk habe ich kaum geachtet, weil ich es unpassend fand, dass er mich in meinem eigenen Land willkommen heißen wollte. Ich war kein Gast. Aus lauter Ärger über seinen Ton fiel mir die Schnitzerei auf dem Griff nicht auf, und ich überlegte auch nicht, warum er mir ein Messer und keinen Troll schenkte. Jetzt ist es mir klar – er wollte nicht, dass ich einen Troll in mein Fenster stelle, weil niemand glauben sollte, wir wären Freunde.
    Als er mich hinausgeleitete, fiel mir eine zweite Tür am Ende der Werkstatt auf. Sie war mit einem schweren Vorhängeschloss versperrt. Jetzt mag das unwichtig klingen, aber dieser zweite Raum wird noch eine Rolle spielen. Behalte ihn im Hinterkopf, und überleg mal, warum er ein eigenes Schloss brauchte, wenn man die Eingangstür abschließen konnte.
    Håkan brachte mich zur Auffahrt. Er bat mich nicht in sein Haus. Er bot mir keinen Kaffee an. Er eskortierte mich von seinem Grundstück. Ich musste ihn im Gehen auf die verpachteten Felder ansprechen und ihm vorschlagen, dass wir als Pacht Fleisch nehmen würden. Er hatte einen anderen Vorschlag.
    »Wie wäre es, wenn ich Ihren ganzen Hof kaufe, Tilde?«
    Ich lachte nicht, weil er nicht so wirkte, als habe er einen Witz gemacht. Er meinte es ernst. Aber das ergab keinen Sinn. Warum hatte er den Hof nicht einfach Cecilia abgekauft? Das fragte ich ihn auch. Er antwortete, das habe er versucht, er habe ihr die doppelte Summe geboten und hätte sogar das Dreifache gezahlt, doch Cecilia habe ihn glatt abblitzen lassen. Ich wollte wissen, warum. Er meinte, ihre Unstimmigkeiten würden mich nicht interessieren. Aber er würde mir gerne

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