Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
überstürzt verlassen hatte. Ich musste die Frau hinter der Theke fragen, ob ich später bezahlen konnte. Die Cafébesitzerin war nicht mal unfreundlich. Sie meinte nur, sie würde mich ja nicht kennen, deshalb musste Mia für mich bürgen. Weil sie Håkans Tochter war, zählte ihr Wort etwas, und die Frau winkte uns durch und schrieb Kaffee und Kuchen und Cola an. Ich versprach kleinlaut, ich würde noch am selben Abend zurückkommen, weil ich meine Schulden nicht länger als nötig stehen lassen wollte, vor allem, weil wir nach Schweden gegangen waren, um nie wieder Schulden zu haben.
Während wir uns den Kuchen teilten, redete ich einfach drauflos. Mia hörte interessiert zu, wenn ich von meinem Leben erzählte, aber wenn es um sie ging, wurde sie zurückhaltend. Mir kam das ungewöhnlich vor; normalerweise reden Teenager lieber über sich selbst. Sie wirkte auch nicht frech oder eingebildet, obwohl sie außergewöhnlich hübsch war. Am Ende unserer Unterhaltung fragte sie mich, ob ich mich bei all meinen Nachbarn vorgestellt hätte, auch bei Ulf, dem Einsiedler auf dem Feld. Ich hatte noch nie von Ulf gehört. Mia erklärte mir, er sei früher Bauer gewesen, aber jetzt nicht mehr. Er verließ nie sein Grundstück. Sein Land wurde von Håkan verwaltet. Einmal die Woche brachte Håkan ihm alles, was er zum Überleben brauchte. Mit dieser letzten Information verabschiedete sie sich, stand auf und bedankte sich nett für den Kuchen und die Cola.
Als Mia ging, fiel mir auf, dass die Frau an der Theke uns beobachtete. Sie hielt sich ein Handy ans Ohr. Ich bin ziemlich sicher, dass sie mit Håkan telefonierte und ihm erzählte, dass ich gerade mit seiner Tochter einen Kaffee getrunken hatte. Man sieht den Leuten immer an den Augen an, wenn sie über einen geredet haben.
I CH FRAGTE:
»Merkst du das wirklich immer?«
Meine Mum antwortete entschieden:
»Ja.«
Wie ein Auto, das über einen Huckel gerast war und dabei nur für eine Sekunde den Bodenkontakt verloren hatte, fuhr sie mit ihrer Erzählung fort, ohne weiter darauf einzugehen.
In Gedanken spulte ich Mias letzte Worte noch einmal ab, und es kam mir komisch vor, ein Gespräch so zu beenden. Mit der Bemerkung über den Einsiedler wollte sie mir sicher durch die Blume zu verstehen geben, dass ich den Mann besuchen sollte. Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir, dass Mia genau das beabsichtigt hatte. Ich wollte nicht warten. Ich wollte sofort zu ihm gehen. Statt nach Hause fuhr ich mit dem Rad an unserem und an Håkans Hof vorbei und suchte das Haus des Einsiedlers. Schließlich entdeckte ich das alte Haus, es stand inmitten der Felder wie ein streunendes Tier. Man konnte kaum glauben, dass jemand dort lebte, so heruntergekommen und vernachlässigt sah es aus. Die Zufahrt war das genaue Gegenteil vom tadellos gepflegten Eingang zu Håkans Hof. Zwischen losen Steinen ragte hüfthohes Gras auf, auf beiden Seiten rückten die Felder näher, und die Natur schluckte den Weg. Hier und da schufen verwaiste landwirtschaftliche Geräte eine unheimliche, traurige Atmosphäre. Die Grundfläche einer kürzlich abgerissenen Scheune war zu sehen.
Ich stieg vom Fahrrad. Bei jedem Schritt sagte ich mir, ich müsse mich nicht umsehen, ob Håkan mich beobachtete. Kurz vor dem Bauernhaus wurde ich schwach. Ich drehte mich um, nur um mich zu beruhigen. Aber da war er, am Horizont ragte sein riesiger Traktor schwarz vor dem grauen Himmel auf. Aus dieser Entfernung konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, ich war mir jedoch sicher, dass es Håkan war. Er thronte im Führerhaus seines Traktors und beugte sich über das Lenkrad. Ein Teil von mir wollte weglaufen, und ich hasste Håkan, weil ich mich seinetwegen so feige fühlte. Aber ich wollte der Angst nicht nachgeben, also klopfte ich bei dem Einsiedler an. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, vielleicht einen kurzen Blick auf düstere Räume voller Spinnweben und toter Fliegen. Jedenfalls keinen sanften Riesen in einer ordentlichen Diele. Er hieß Ulf Lund und war so groß und so stark wie Håkan, doch mit einem Anflug von Traurigkeit und einer so leisen Stimme, dass ich genau hinhören musste. Ich stellte mich vor und erklärte, ich sei neu in der Gegend und würde hoffen, dass wir Freunde werden. Zu meiner Überraschung bat er mich herein.
Auf dem Weg in die Küche fiel mir auf, dass ihm Kerzenschein lieber war als elektrisches Licht. In seinem Haus herrschte eine feierliche Atmosphäre wie in einer
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