Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
gelassen. An den Epheserbrief konnte ich mich nicht erinnern. Ich wusste, dass er zum Neuen Testament gehört. Die meisten anderen gestickten Zitate an der Wand gehörten zu berühmten Stellen aus dem Alten Testament, und ich wollte wissen, warum seine Frau plötzlich etwas anderes gewählt und sich ein unbekanntes Zitat ausgesucht hatte.
I CH FRAGTE MICH , wie meine Mum an dieses gestickte Zitat gekommen war, das vorher gerahmt an der Wand gehangen hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Einsiedler etwas so Wertvolles wie den Spruch, an dem seine Frau kurz vor ihrem Tod gearbeitet hatte, einfach weggeben würde.
»Mum, hast du das gestohlen?«
Ja, habe ich, aber nicht von Ulf, sondern von jemandem, der es Ulf gestohlen hatte und der begriff, wie wichtig es war. Darüber will ich jetzt noch nicht reden. Du musst mich der Reihenfolge nach erzählen lassen, sonst springen wir hin und her, und ich erzähle dir nachher, was im August passiert ist, bevor wir den Mai durchhaben.
Zu Hause auf dem Hof habe ich als Erstes meine fünfzig Jahre alte Bibel gesucht, die mein Vater mir geschenkt hatte. Sie trägt eine Widmung in seiner schönen altmodischen Handschrift – er hat immer mit einem Füller geschrieben. Ich habe Epheser 6, Vers 12 nachgeschlagen und auswendig gelernt.
Hör dir noch mal ihre gestickte Version an:
»Denn ich habe mit Fleisch und Blut zu kämpfen, mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern auf Erden.«
Und jetzt hör dir die richtige Version aus der Bibel an. Ich werde einige Wörter, die anders sind, besonders betonen, aber zieh ruhig deine eigenen Schlüsse.
Denn WIR haben NICHT mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel – NICHT auf Erden.
Seine Frau hat das Zitat verändert! Sie hat ihre eigene Version gestrickt, in der es um Kampf gegen Fleisch und Blut geht und sie die Mächte des Bösen vom Himmel auf die Erde versetzt hat. Auf die Erde! Was beweist das? Es war eine Botschaft, kein Fehler. Wie konnte diese arme Frau sichergehen, dass ihre Botschaft überdauert, dass sie nicht nach ihrem Tod vernichtet wird? Sie hat sie an die Wand gehängt – getarnt zwischen den anderen Zitaten als Botschaft an diejenigen, die aufpassen; es ist eine Botschaft, kein Fehler, eine Botschaft!
Ich wollte Chris sofort von dieser Entdeckung erzählen, lief hinaus und rief ihn. Es kam keine Antwort. Ich hatte keine Ahnung, wo er steckte, aber mir fielen rote Flecken auf der Kieszufahrt auf. Schon bevor ich mich bückte, wusste ich, dass es Blut war. Die Flecken waren noch nicht trocken. Sie waren frisch. Ich hatte Angst, Chris könnte verletzt sein, und lief zu einem der Nebengebäude. Die Tropfen führten unter der Tür hindurch, und ich packte die Klinke, stieß die Tür auf und sah ein geschlachtetes Schwein an einem Haken, ein ganzes Tier, das in der Mitte durchgeschnitten war und aufgeklappt wie ein Buch sanft vor und zurück schwang – ein Schmetterling mit blutigen Kadaverflügeln. Ich schrie nicht. Ich komme vom Land und habe viele geschlachtete Tiere gesehen. Wenn ich blass und erschüttert war, dann nicht, weil mich der Anblick des toten Tiers erschrocken hätte, sondern weil ich verstand, was dieses geschlachtete Schwein bedeuten sollte.
Es war eine Drohung!
In gewisser Weise lasse ich gelten, dass Håkan damit nur seinen Teil der Abmachung eingehalten hat. Ich hatte ihn um Fleisch als Pacht für unser Land gebeten. Das stimmte. Aber ich hatte an ein paar Würstchen und Speckstreifen gedacht und nicht an ein ganzes Schwein. Sicher, es war ein guter Tausch, weil an dem Tier reichlich Fleisch war, aber warum hat er es zu diesem Zeitpunkt vorbeigebracht, warum musste er es abliefern, als ich mich mit dem Einsiedler unterhielt? Findest du das Timing nicht auch seltsam? Sieh dir den zeitlichen Ablauf an: Der Ablauf ist entscheidend.
Zunächst einmal ist da die Frau im Café – sie ruft Håkan an und erzählt ihm, dass ich mich mit seiner Tochter unterhalte.
Zweitens – er sieht, wie ich den Einsiedler besuche, und bringt das sicher mit Mia in Verbindung.
Was macht er dann?
Er sucht – drittens – ein frisch geschlachtetes Schwein aus oder schlachtet selbst eines – wegen der Blutspuren muss es frisch gewesen sein –, bringt es zu unserem Hof,
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