Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
Kirche. Er bot mir Kaffee an, legte eine Zimtschnecke aus dem Eisfach in den Ofen und entschuldigte sich, dass es eine Weile dauern würde, um sie aufzutauen. Ihm schien es zu genügen, mir stumm gegenüberzusitzen, während die einsame Schnecke im Ofen warm wurde. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und fragte ihn, ob er verheiratet war, obwohl ich genau wusste, dass er allein lebte. Er erzählte, seine Frau sei gestorben. Wie, wollte er nicht sagen. Er verriet mir nicht mal ihren Namen, dafür servierte er mir den stärksten Kaffee, den ich je getrunken habe, ein so bitteres Gebräu, dass ich es süßen musste. Der braune Kristallzucker in seinem Schälchen war verklumpt. Als ich mit meinem Löffel die Kruste knackte, wurde mir klar, dass ihn niemand mehr besuchte. Er reichte mir die Zimtschnecke auf einem Teller, und ich bedankte mich überschwänglich, obwohl sie in der Mitte noch gefroren war, und schluckte lächelnd einen Bissen kalten, süßen Teigs herunter.
Als ich danach in der Diele saß, mir langsam die Schuhe anzog und mich umsah, fielen mir zwei Dinge auf. Nirgends waren Håkans geschnitzte Trolle zu sehen. Stattdessen hingen gerahmte Bibelzitate an den Wänden, auf Stoff gestickte Sprüche, die mit Szenen aus der Bibel illustriert waren, mit gestickten Pharaos und Propheten, dem Garten Eden aus buntem Garn, mit der Teilung des Roten Meeres, dem brennenden Dornbusch und so weiter. Ich fragte ihn, ob er das gestickt habe. Ulf schüttelte den Kopf: Die Handarbeiten stammten von seiner Frau. Vom Boden bis hoch zur Decke müssen es mehr als hundert gewesen sein, darunter dieses …
M EINE MUM ZOG EIN handgesticktes Bibelzitat, zusammengerollt und mit einem groben Bindfaden verschnürt, aus der Tasche. Sie rollte es so vor mir aus, dass ich den Spruch aus dünnem schwarzem Garn lesen konnte. Die Kanten waren angesengt, ein Teil des Garns von Feuer beschädigt.
Die Brandstellen kommen daher, dass Chris es vor ein paar Tagen in den Kaminofen geworfen hat. Er hat mich angeschrien, es hätte nichts zu bedeuten und …
»Bitte-bitte-bitte lass mich das Scheißding einfach verbrennen.«
Aber ich schnappte mir eine Ofenzange und riss den Stoff, der schon halb brannte, aus den Flammen, während Chris sich auf mich stürzte und ihn mir wegnehmen wollte. Ich musste bis ins Wohnzimmer zurückweichen und schwenkte das brennende Material von links nach rechts, als wollte ich einen angreifenden Wolf abwehren. Da hat er mir zum ersten Mal ins Gesicht gesagt, ich sei verrückt. Mit Sicherheit hat er das vorher schon hinter meinem Rücken behauptet. Aber es ist nicht verrückt, ein Beweisstück zu retten, vor allem nicht, wenn es zeigt, dass im Herzen dieser Gemeinde etwas faul ist, und deshalb wollte ich ihn auf keinen Fall »dieses Scheißding verbrennen lassen«.
M EINE MUM WAR SPÜRBAR erpicht darauf, mir von Dads Wutausbruch zu erzählen. Sie hatte gemerkt, wie überrascht ich auf ihren Ausruf – »Mach deine beschissenen Augen auf!« – reagiert hatte, und es nicht vergessen. Ich musste an ihr sorgfältig geführtes Kassenbuch denken, schwarze Tinte auf der einen Seite, rote auf der anderen. Sie hatte einen Minuspunkt kassiert und wollte ihn ausgleichen. Es wurde immer deutlicher, dass mein Verhalten ihre Darstellung der Geschichte beeinflusste, und ich nahm mir ein weiteres Mal vor, mich neutral zu geben und mir möglichst wenig anmerken zu lassen.
Dieses Bibelzitat ist nicht so wie die anderen in der Diele. Es ist mir aufgefallen, weil der Stoff nicht verziert ist. Die anderen Zitate sind von etwas albernen biblischen Illustrationen umgeben, dieses steht allein. Ulf hat mir erzählt, seine Frau habe daran gearbeitet, als sie starb. Einige Wörter fehlen, von ihnen ist nur Asche übrig. Ich übersetze es dir.
»Denn ich habe mit Fleisch und Blut zu kämpfen, mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern auf Erden.«
Die genaue Bibelstelle ist auch aufgestickt. Hier steht sie – Epheser 6, Vers 12. Als Kind habe ich jeden Tag in der Bibel gelesen. Meine Eltern waren angesehene Mitglieder unserer Kirche, vor allem meine Mutter. Ich habe die Sonntagsschule besucht. Der Bibelunterricht hat mir gefallen. Ich war sehr gläubig. Du wusstest das nicht, weil ich mittlerweile nur noch zu Weihnachten und Ostern in die Kirche gehe, aber auf dem Land gehört die Kirche zum Leben dazu. Hierbei hat mich mein Wissen allerdings im Stich
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