Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
hatte. Vielleicht versteckte er sich im Wald und würde erst herauskommen, wenn ich gegangen war. Nach fast einer Stunde überlegte ich, was ich da eigentlich machte. Offenbar war Mia nicht in einer Notlage. Sie war allein zum Leuchtturm gegangen, niemand hatte sie gezwungen. Ich war neugierig, aber mir war auch kalt. Weil ich vor dem Midsommarfest in der Stadt nicht krank werden wollte, machte ich mich lieber auf den Weg und lief zurück zu meinem Fahrrad.
Diesen Irrtum werde ich mir nie verzeihen. Ich glaube, der Mann, der schließlich kam, hat Mia getötet.
I CH HÄTTE SIE GERN UNTERBROCHEN und nachgefragt, aber ich spürte, dass es meiner Mum nicht mehr darum ging, konkreten Punkten auszuweichen, sondern dass sie langsam, aber stetig auf eine Erklärung der Ereignisse und auch auf den Mord an Mia hinarbeitete. Sie stand noch und machte auch keine Anstalten, sich zu setzen. Aus der Tasche, die sie immer noch über der Schulter trug, zog sie eine Einladung zum Midsommar.
Jedes Jahr veranstaltet die Stadt zwei getrennte Midsommarfeste, eines für Touristen, die in der Gegend Urlaub machen, und ein etwas Feineres für die Einheimischen. Das hier ist eine Einladung zum ersten Fest, wie sie am Strand und in den Hotels verteilt wurde. Auf dem Flyer tanzen blonde Kinder mit Blumenkränzen um den Maibaum, und es sieht nach einem unschuldigen Fest aus, aber eigentlich ist es Geschäftemacherei. Die ganze Veranstaltung ist möglichst billig gehalten. Woher ich das weiß? Ich habe da gearbeitet. Mia hat auf dem Hof vorbeigeschaut und erzählt, man könne sich dort etwas dazuverdienen. Sie muss gewusst haben, dass wir knapp bei Kasse waren. Sie wollte uns helfen. Ich habe mich bei den Veranstaltern gemeldet, und sie haben mir einen Job im Bier- und Schnapszelt gegeben.
An dem entsprechenden Tag kam ich frühmorgens auf die Wiese, die Håkan gehörte, und hatte einen ganzen Trupp motivierter Leute erwartet, die ein tolles Fest auf die Beine stellen wollten. Schließlich trugen wir Verantwortung, dass alles klappte. Bei Midsommar wird das Landleben gefeiert, das Fest geht zurück auf uralte Erntebräuche und soll unsere tiefe Verbundenheit zu Schweden ausdrücken. Aber was ich vorfand, war zutiefst deprimierend. Das weiße Stoffzelt, in dem Essen serviert wurde, war klamm und alt. Überall sah man Mülleimer. Auf handgeschriebenen Schildern standen allerhand Vorschriften und Verbote. Die lange Reihe mit Toilettenkabinen war auffälliger als die Maistange. Essen und alkoholfreie Getränke waren im Preis inbegriffen. Wenn man bedenkt, dass es nur zweihundert Kronen kostete, das sind etwa zwanzig Pfund, klingt es nach einem vernünftigen Preis. Allerdings wurde das Essen en gros und so günstig wie möglich zubereitet. Håkan hatte mich doch gebeten, zu dem Grillfest Kartoffelsalat mitzubringen. An Midsommar konnte ich selbst sehen, wie schlecht Kartoffelsalat angesehen ist, er wird in Eimern gemacht und mit großen Kellen auf die Teller geklatscht, ein echter Touristenfraß. Deshalb sollte ich diesen Salat zu Håkans Fest mitbringen, er ist etwas für Touristen, und genauso hat Håkan mich gesehen, als Touristin in Schweden.
Im Alkoholzelt haben wir Bier und Schnaps mit mehr Personal ausgeschenkt, als im ganzen Essenszelt war, wo sich die Schlangen über mehrere Hundert Meter zogen. Das war Absicht, damit sich die Leute keinen Nachschlag holten. Besonders die Männer sind natürlich schnell zum Bierzelt gewandert. Bei uns war es von Anfang an voll. Egal, was ich von der Veranstaltung hielt, die Leute hatten Spaß. Es war warm, und die Gäste wollten sich amüsieren.
In meiner Mittagspause ging ich zur Maistange und sah mir den Auftritt zu Midsommar an. Gerade tanzten Schüler in traditionellen Kostümen. Während ich zusah, tippte mir jemand auf die Schulter, und als ich mich umdrehte, stand Mia vor mir. Sie trug kein weißes Kleid und Blumen im Haar wie am Strand, sondern hielt eine Plastiktüte in der Hand, um Müll einzusammeln. Sie erzählte, sie hätte extra um diese Aufgabe gebeten, weil sie keine Lust hatte, sich herauszuputzen und sich anstarren zu lassen. Diese Bemerkung fand ich schon damals beunruhigend. Warum hatte diese junge Frau solche Angst davor, dass jemand sie ansah? Mia erzählte mir vom letzten Santa Lucia, dem Lichterfest am dunkelsten Tag des Jahres. Die Kirche hatte dafür eigens ein Stück in Auftrag gegeben, in dem es darum ging, wie man das richtige Mädchen für die Rolle der Santa Lucia
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