Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
redeten ganz freundlich mit mir, als wäre ich zurückgeblieben, und gratulierten mir zu meinem Mut. Wie erwartet verdrehten alle die Augen und wurden unvorsichtig. Der Ort, an dem das Ganze stattfand, war malerisch, das konnte man nicht anders sagen. Die Feier fand neben dem Elchfluss statt, unterhalb der Lachstreppe und nicht weit von der Freilichtbühne entfernt, auf der im Sommer Theatergruppen alberne Stücke aufführen. Der Streifen Land war sorgfältig hergerichtet worden. Es gab Luxustoiletten und kleine Pavillons mit Essen, und auf den Tischen standen Sträuße mit Sommerblumen. Am beeindruckendsten war die Maistange; es war genau dieselbe wie am Tag davor, aber mit doppelt oder dreifach so vielen Blumen. Sie war so schön, dass ich mich im ersten Moment davon blenden ließ und nicht erkannte, wie ungerecht es war. Man hätte diese wunderschöne Maistange problemlos bei beiden Midsommarfesten benutzen können. Wir hätten das Leben und den Sommer feiern sollen, aber die Gehässigkeit der Leute hier verdarb alles.
Elise war auch da, sie musterte mich abfällig von oben bis unten. Vorhin habe ich dir erzählt, dass ich mich nicht so blind stellen wollte wie Elise, aber an manchen Tagen, wenn ich ganz deprimiert war, verstand ich ihre Entscheidung und fand die Vorstellung selbst verlockend, auch wenn ich mich dafür schämte. Es wäre so viel leichter gewesen, mein Misstrauen zu begraben und aus vollem Hals ein Loblied auf meine neuen Nachbarn zu singen. Keine schlaflosen Nächte mehr, keine Sorgen mehr – ich müsste mich keine Sekunde mehr fragen, was oben am Fluss im Wald vor sich ging. Hätte ich die Augen davor verschlossen, hätte Håkan meine Entscheidung sicher gefeiert, er hätte sich über meine Kapitulation gefreut und mich zur Belohnung mit Freundschaft überschüttet. Aber es ist nicht leicht, sich blind zu stellen. Das muss man wollen und dafür bereit sein. Der Preis war zu hoch: Ich wäre ein Abziehbild von Elise geworden, vielleicht war sie schon das Abbild einer anderen Frau vor ihr, vielleicht war diese Blindheit ein altes Muster, und Frauen mussten sich seit Generationen Fragen und Kritik aus dem Kopf schlagen und eine Rolle spielen, die so alt war wie diese Bauernhöfe – als treue, ergebene Frauen. In dieser Rolle hätte man mich akzeptiert, vielleicht wäre ich sogar in gewisser Weise damit glücklich geworden. Nur nicht in den Stunden, die ich allein gewesen wäre. Dann hätte ich mich gehasst. Und wie wir uns fühlen, wenn wir allein sind, sollte der Maßstab für all unsere Entscheidungen sein.
Genau wie ich kam Mia allein an. Viel überraschender war, dass sie sich, so wie ich, festlich gekleidet hatte, sie trug Weiß wie eine Braut, hatte Blumen im Haar und hielt auch welche in den Händen. Es waren dieselben Sachen, die sie schon am Strand getragen hatte, nur waren sie jetzt nicht mehr sauber und frisch. Der Stoff war schmutzig und voller Risse. Die Blumen verloren Blütenblätter. Mia versuchte gar nicht, die Risse und Flecken auf ihrer Kleidung zu verbergen. Sie sah aus, als wäre sie auf dem Rückweg vom Leuchtturm überfallen worden. Zuerst ignorierte Mia alle, sie stellte sich an den Fluss, den Rücken zur Feier, und starrte auf das Wasser. Ich ließ sie dort stehen, weil ich mich nicht vor allen anderen verraten wollte. Später fiel mir auf, dass sie sich seltsam bewegte. Sie ging zu vorsichtig. Sie schien irgendetwas ausgleichen zu wollen. Und tatsächlich, mein Instinkt hatte mich nicht getrogen, denn als ich Mia endlich begrüßte, waren ihre Augen blutunterlaufen. Sie war betrunken! Sie musste sich etwas mitgebracht haben, bei der Feier hätte ihr niemand etwas gegeben. Sicher, manchmal betrinken Teenager sich, das muss man nicht hochspielen, aber stumm und betrunken am helllichten Nachmittag bei einer solchen Veranstaltung aufzutauchen hatte nichts mit feiern oder Spaß zu tun, es zeigte, dass sie Probleme hatte.
Als wir bald darauf um die Maistange tanzen wollten, war Mia nicht mehr in der Lage, ihren Rausch zu verbergen, vielleicht wollte sie es auch nicht mehr. Mittlerweile bemerkten auch andere Gäste, die nicht so feine Antennen für Mias Verhalten hatten, dass etwas nicht stimmte. Ich bekam mit, dass Håkan sie nach Hause bringen wollte. Mit einem so drastischen Schritt hätte er für Aufsehen gesorgt. Aber er dachte wohl, eine kurze Störung sei besser, als einen großen Auftritt von ihr zu riskieren. Ich konnte nicht zulassen, dass er sie von der Feier
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