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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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waren neu, andere schwarz von den toten oder sterbenden Fliegen. Mein Vater konnte nicht sitzen bleiben, wenn eine Fliege im Haus war, er jagte sie, bis sie tot war, immer weiter, deshalb wurde die Tür immer nur so lange wie nötig geöffnet, und wenn man frische Luft wollte, ging man raus. Dieser Geruch, was immer es auch war – Fliegenpapier und alte Möbel und Heizungsluft –, für mich war er ein trauriger Geruch. Ich wurde unruhig, als wir im Wohnzimmer saßen und ihn einatmeten. Neben mir stand ein Fernseher, den er wahrscheinlich hatte, seit ich weggelaufen war, ein wuchtiger schwarzer Kasten mit zwei Stahlantennen, der aussah wie ein riesiger Insektenkopf mit einem gewölbten Auge. Mit ziemlicher Sicherheit war das der erste und einzige Fernseher, den er je gekauft hatte.
    Es kam mir nicht so vor, als hätten wir uns fünfzig Jahre lang nicht gesehen. Wir mussten nicht über die Zeit reden, die wir verpasst hatten. Sie war nicht wichtig. Er stellte keine Fragen. Nicht nach dir, auch nicht nach Chris. Ich verstand das. Manche Wunden kann man nicht heilen. Mit meinem Weglaufen hatte ich ihn gedemütigt. Er war ein stolzer Mann. An den Wänden hingen immer noch die verblassten Zeitungsartikel über seinen weißen Honig. Mein Verhalten hatte seinen Ruf befleckt, wenigstens hatte es eine Frage aufgeworfen, weil er eine gestörte Tochter hatte. Ich hatte ihm nicht wehtun wollen. Die Sache mit Freja war nicht seine Schuld. Über diese Dinge konnten wir nicht reden. Ich musste erklären, was ich wollte.
    Warum war ich hier?
    Nicht für einen belanglosen Schwatz. Nicht um so zu tun, als könnten wir die Vergangenheit kitten. Ich brauchte seine Hilfe für die Gegenwart. Ich erzählte ihm, was in diesem Sommer passiert war, lange nicht so ausführlich wie dir, aber viel besser als bei meinem Versuch mit Doktor Norling. Ich fing am Anfang an, nicht mit meinen Schlussfolgerungen. Ein paar Einzelheiten und etwas Kontext waren auch dabei, aber viel Zeit nahm ich mir nicht. Es war spät, ich war sechs Stunden gefahren, ich war nicht konzentriert, meine Gedanken sprangen hin und her und verdichteten Monate zu Minuten. Diese Fehler waren eine wichtige Lektion für mich, ich habe gelernt, wie ich die Geschichte erzählen muss, damit man mir glaubt, und daran habe ich mich heute gehalten. Zusammenfassungen nutzen nichts. Ohne Beweise wirkt meine Geschichte vage und haltlos. Da wurde mir klar, dass ich meinen Fall um die Beweise in meiner Tasche herum aufbauen muss, und dass ich mein Tagebuch brauche, um meine Erzählung zu untermauern, um sie zu stützen. Es ging nicht ohne den zeitlichen Ablauf. Ohne Kontext. Und wenn möglich, brauchte ich Zahlen. Jeder traut Zahlen.
    Nach gerade einer Stunde war ich bei meiner Schlussfolgerung angelangt, dass jemand Mia ermordet hatte, um sexuellen Missbrauch zu vertuschen, und dass sogar die Bezirksregierung und die Polizei darin verstrickt waren. Am Ende stand mein Vater auf. Er sagte nichts zu den Ereignissen oder Anschuldigungen, kein Wort, weder bekräftigte er sie, noch zog er sie in Zweifel. Er sagte, ich könne in meinem alten Zimmer schlafen – wir würden morgen weiterreden, wenn ich mich ausgeruht hatte. Schlaf war eine gute Idee, das sah ich ein. Ich war todmüde. Ich brauchte neue Kraft und einen klaren Kopf. Am nächsten Tag würde ich meine Geschichte besser erzählen. Ich würde erklären, dass es Beweise gab. Ich würde eine zweite Chance bekommen. Und er auch.
    Sie hatten mein Zimmer anders eingerichtet und keine Spur von mir gelassen. Mir machte das nichts aus, die Menschen schließen mit dem Alten ab, sogar Eltern, sie ordnen ihr Leben ohne ihre Kinder neu. Mein Vater erzählte, dass sie das Zimmer als Gästezimmer genutzt hätten, nachdem ich gegangen war, sie hätten es für die Kirchengemeinde bereitgehalten, die immer wieder Besucher zu seinem Hof schickte, manchmal für mehrere Wochen. Er war nie einsam gewesen. Das freut mich, dachte ich. Einsamkeit würde ich niemandem wünschen.
    Ich legte mich auf das Bett, ohne mich auszuziehen, weil ich sichergehen wollte, dass mein Vater Chris nicht anrief, während ich schlief. Er hatte mir nicht geglaubt, das hatte ich schon gespürt. Ich bin nicht dumm. Ich weiß nur zu gut, wie mein Vater reagiert, wenn er mir nicht glaubt. Nachdem ich eine Stunde auf dem Bett gelegen hatte, setzte ich mich ins Wohnzimmer neben das einzige Telefon im Haus, um zu sehen, ob mein Vater sich nachts aus dem Bett schleichen würde, um Chris

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