Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
Boutiquen, wo Frauen von Welt französische Parfüms kauften, und schummrigen Tabakläden, wo Männer Zigarren und Kautabak bekamen. Jetzt sah ich beim Durchfahren ein altmodisches Dorf, in dem um zehn die Bürgersteige hochgeklappt wurden, mit einer einzigen Bar in einer Nebenstraße, mit nüchterner Fassade und einer Handvoll Gäste, die nicht mit den Hühnern ins Bett mussten.
Ich folgte meinem Fluchtweg von damals zurück, entlang der Landstraße, an der ich vor so vielen Jahren mein Fahrrad in die Felder geworfen und den Bus genommen hatte, vorbei an den Wildblumenwiesen meines Vaters und zu seinem Hof. Alles sah noch so aus wie früher, das kleine rote Bauernhaus, das mein Vater eigenhändig gebaut hatte, bevor ich geboren wurde, daneben der typische Fahnenmast, dahinter Teiche und Johannisbeersträucher, über der Tür eine einzelne matte Lampe, vor der Schnaken und Mücken tanzten, das einzige Licht meilenweit.
Ich stieg aus und wartete. Ich musste nicht klopfen, in dieser abgelegenen Gegend hört man so selten Autos, dass die Leute vor die Tür kommen und nachsehen, und mein Vater hatte mich sicher gehört. Ich schätzte, er hatte am Fenster gewartet und die Straße beobachtet, um zu sehen, wohin der Wagen fahren würde. Er war sicher überrascht, als der Wagen zu seinem Hof fuhr, und noch überraschter, als er vor dem Haus hielt – ein unerwarteter Besucher, und das so spät.
Als die Tür geöffnet wurde, wollte ich plötzlich weglaufen. War es ein schrecklicher Fehler gewesen herzukommen? Mein Vater trug eine Anzugjacke. Im Haus hatte er immer Jacke und Weste getragen, er war immer ordentlich angezogen, wenn er nicht auf dem Feld arbeitete, nie nachlässig. Sein Anzug war aus grobem braunem Stoff, vielleicht hätte ich ihn sogar noch erkannt, aber seine Anzüge hatten immer gleich ausgesehen – schwer, kratzig und unbequem, fromme Kleidung für eine fromme Seele. Alles war mir vertraut, nur der Verfall nicht – das hatte es früher nicht gegeben. Die Johannisbeerbüsche waren verwildert, einer war sogar abgestorben. Die Teiche waren nicht mehr gepflegt, die Seerosen wurden von dichten Algen erdrückt. An der Scheune blätterte die Farbe ab. Die landwirtschaftlichen Maschinen hatten Rost angesetzt. Anders als die Umgebung schien mein Vater in bester Verfassung zu sein, immer noch aufrecht und kräftig, mit fünfundachtzig ein alter Mann, aber nicht hinfällig, nicht schwach, sondern lebendig, unglaublich lebendig – stark und hellwach. Seine Haare waren weiß und ordentlich geschnitten. Er war beim Friseur gewesen. Er achtete auf sich, er trug Zitronenöl, der einzige Duft, den er je benutzte. Er sagte meinen Namen:
»Tilde.«
Nicht erstaunt oder verwundert, es war einfach mein Name, der Name, den er ausgesucht hatte, eine simple Feststellung, nichts, das ihm Freude machte. Ich wollte seinen Tonfall nachahmen, aber meine Stimme klang ergriffen:
»Vater!«
Mit einem Fahrrad hatte ich den Hof verlassen, und fünfzig Jahre später kehrte ich in einem Lieferwagen zurück. Ich erklärte, dass ich nicht hier war, um mich zu streiten oder irgendwelche Probleme zu machen. Er sagte:
»Ich bin alt.«
Ich lachte und antwortete:
»Ich bin auch alt!«
Wenigstens das hatten wir gemein.
Innen sah das Haus noch aus wie damals in den Sechzigern, alles war aber irgendwie verkommen, so wie ein vergessenes Glas Marmelade mit Schimmelflecken in der hintersten Ecke der Speisekammer. Der angesammelte Schmutz machte mich traurig. Mein Vater war von Sauberkeit und tadellosem Auftreten wie besessen gewesen. Geputzt hatte das Haus jedoch immer nur meine Mutter. Er hatte keinen Finger gerührt. Auch nach ihrem Tod nicht. Deshalb wirkte er selbst zwar sehr gepflegt, aber um ihn herum war das Haus vor Dreck erstarrt. Im Badezimmer war der Duschkopf verrostet, die Fugen waren schwarz, der Abfluss von Haaren verstopft, und in der Toilettenschüssel trieb ein winziger Kotbrocken. Und erst der Geruch! Er war genauso schlimm, das Haus stand draußen auf dem Land in der frischesten Luft, die man sich vorstellen kann, aber drinnen roch es muffig und schal, weil die Fenster dreifach verglast und gegen die bittere Kälte im Winter gut abgedichtet sind. Mein Vater hatte nie die Fenster geöffnet, nicht mal im Sommer. Das Haus blieb zugesperrt, er ließ nie die Tür auf, um frische Luft hereinzulassen. Mein Vater hasst Fliegen, musst du wissen. Fünfzig Jahre später hing immer noch Fliegenpapier in jedem Zimmer, manche Streifen
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