Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
los war? Vielleicht war es auch eine Mischung von alledem? Ich beobachtete mich dabei, wie ich mir insgeheim wünschte, dass es ihm schlecht ging. Das war eine Seite an mir, die ich bis her kaum gekannt hatte und die mir nicht gefiel. Ob andere Frauen in der gleichen Situation auch so fühlten?
Während ich auf meinem Bett saß, fiel mein Blick auf das Sideboard in der Ecke. Dort hatte ich früher meine Schulbücher und Hefte liegen. Dann sah ich den alten Kassettenrekorder. Ob der noch funktionierte? Ich stand auf und nahm das Ding in die Hand. Tränen traten mir in die Augen, als ich mich daran erinnerte, wie ich ihn gekauft hatte. Tante Kathi hatte mir fünfzig Mark zum Geburtstag gegeben, und ich kaufte diesen Rekorder und eine Kassette: Spider Murphy Gang. Ich vermisste Tante Kathi, und manch mal vermisste ich auch meine Jugend.
Erwartungsvoll öffnete ich die Tür des Sideboards, und tat sächlich, da stand meine Jugendzeit vor mir: Meine Schall platten und Kassetten. Ich stürzte mich darauf und sah alles durch. Mein Gott, die Discovery-Platte von ELO . Antje und ich hatten sie tagein, tagaus rauf und runter gehört. Meine alten Kassetten: Guns ’n’ Roses, Iron Maiden, Def Leppard … Ich hatte einmal eine intensive Hardrock-Phase gehabt, was meine Mutter schier zur Verzweiflung brachte. »Das ist keine Musik, sondern Körperverletzung«, hatte sie gesagt.
Ich nahm den Kassettenrekorder und testete an der Steckdose neben meinem Bett, ob er noch funktionierte. Behutsam legte ich die nächstbeste Kassette ein, und es ertönte Holy Diver von Dio. Noch hardrockiger ging es kaum, überlegte ich. Offenbar schien der Lautstärkeregler nicht mehr zu funktionieren, denn es gelang mir nicht, die Lautstärke herunterzudrehen. Plötzlich stand meine Mutter in der Tür und schrie gegen die Musik an: »Ja muss ich denn den ganzen Mist noch mal durchmachen?«
Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee stieg mir in die Nase. Wegen des verheißungsvollen Geruchs wäre ich gerne aufgestanden, aber die Vorstellung, meiner Mutter in der Küche zu begegnen, dämpfte diesen Wunsch. Sie hatte mir die Idee, für ein Zimmer in einer Frauen- WG auszuziehen, anscheinend wirklich übelgenommen und hatte mich das am Vorabend auch spüren lassen. Auch meinen Vater, weil er mir wegen der WG nicht Vernunft beibringen wollte. Dann hatte ich auch noch die Musik aufgedreht wie eine pubertierende Rebellin. Nicht, dass sie es nicht gut meinte. Sie war Markus und mir immer eine gute Mutter gewesen, und ich wusste, dass sie für ihre Kinder ins Feuer springen würde, aber sie hatte auch immer die starke Tendenz zur Bevormundung gehabt. Deshalb war Markus auch so früh ausgezogen, weil auf alles, was er tat, ein Kommentar folgte. Er konnte seinen achtzehnten Geburtstag kaum erwarten, zog zu einem etwas älteren Kumpel, ging weiter zur Schule und besorgte sich einen Nebenjob als Barmann in einer Disco – weshalb er dann später keine Disco mehr von innen sehen konnte. Markus hatte seine Macken – Putzfimmel und Sturheit zum Beispiel, eindeutig ein Erbe unserer Mutter und mit ein Grund, weshalb es keine Frau länger als ein halbes Jahr mit ihm ausgehalten hatte –, aber er verfügte über eine ungeheure Menschenkenntnis. Ich hatte früher sogar ab und zu neue Freundinnen oder Freunde mit nach Hause gebracht, nur damit Markus sie unauffällig unter die Lupe nehmen und mir später seine Meinung sagen konnte. Und er hatte immer recht. Einmal wollte ich es nicht hören, nämlich bei Christoph. Markus meinte, mit dem käme ich nie auf eine Wellenlänge. Wir wären einfach zu verschieden. Das Verrückte war, dass er bei meinem ersten Freund Socke gesagt hatte: »Der ist es, Evelyn. Ihr passt zusammen wie Simon und Garfunkel.« Den Vergleich fand ich zwar etwas schräg, aber ich war im Himmel. Wenn sogar Markus uns seinen Segen gab, konnte nichts mehr schiefgehen. Aber dann war Socke doch zu ernst für mich gewesen und ich zu unreif für ihn.
Endlich quälte ich mich doch aus dem Bett und machte mich bereit für die Höhle des Löwen.
Meine Mutter verhielt sich wider Erwarten normal. Sie schien nicht mehr beleidigt zu sein, weil ich mit »drei Weibern unter einem Dach« leben wollte. So hatte sie es am Abend zuvor noch einmal in den Raum geworfen.
Wir tranken Kaffee zusammen. Sie hatte schon vor einer Stunde gefrühstückt, also aß ich mein Butterhörnchen allein. »Der Papi ist gerade wieder in den Baumarkt gefahren. Er will noch etwas im Keller
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