Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
Von einer Sekunde auf die andere.
Ich stand vor dem Schrank und hatte Angst, ihn wieder aufzumachen. Den Griff hielt ich so fest umklammert, dass meine Knöchel ganz weiß waren. Meine Hände wurden feucht, und ich atmete schwer, musste mich überwinden, einen erneuten Blick hineinzuwerfen. Langsam öffnete ich die Tür wieder. Da sah ich es: Zuckerfreies Müsli, Süßstoff, Vollkornkekse … Christoph kaufte so etwas nicht. Er hatte noch nie in seinem Leben etwas mit Süßstoff gegessen, und Kekse aß er generell nicht, schon gar nicht aus Vollkorn. Es war eindeutig: Hier kam eine Frau nicht nur einfach zu Besuch. Ich wusste vorher nicht, dass man tiefsten Schmerz und innere Leere gleichzeitig verspüren konnte. Ich hatte ihn doch gefragt, ob es eine andere Frau gäbe, und er hatte es verneint. Lüge, nichts als Lüge. Er war ein verlogener, dreckiger Mistkerl.
»Ich warte dann unten im Auto auf dich«, unterbrach Egge meine Gedanken. »Oder gibt es noch etwas, das ich mitnehmen soll?«
Wortlos drückte ich ihm die Plastiktüte mit dem Geschirr und dem Besteck in die Hände.
Er sah mich lange an, wollte etwas sagen, dann machte er den Mund wieder zu.
»Nimm sie von unten – ist schwer«, stammelte ich.
Egge ging, und ich war mit Christoph alleine. Er kam in die Küche, wo ich an der Küchenzeile lehnte. Wir setzen uns an den Tisch. Wahrscheinlich sah ich grauenhaft aus, denn Christoph meinte: »Was ist denn los mit dir? Geht es dir nicht gut?«
»Warum hast du mich belogen?«
»Was?«
»Ich habe dich gefragt, ob es eine andere Frau gibt, und du hast Nein gesagt.«
Christoph stand da wie ein geprügelter Hund.
»Ich meine, du hast mir in die Augen gesehen dabei und mich die letzten Tage den Kopf zermartern lassen, was ich alles falsch gemacht haben könnte. Und ich hab dir auch noch geglaubt.«
»Ich wollte dich nicht verletzen«, sagte er kleinlaut.
Ich lachte verbittert auf.
Unbeholfen steckte er die Hände in die Hosentaschen, wie ein Schuljunge, der gerade einen Verweis erhalten hatte.
»Du widerst mich an.« Keine Ahnung, warum ich das sagte. Es stimmte eigentlich nicht. Eher hatte ich so eine Wut auf ihn, dass ich ihn am liebsten geschüttelt und dann seinen Kopf in kaltes Wasser getaucht hätte. »Wie lange kennst du sie schon?«
»Ein paar Monate.«
»Was?«, schrie ich. »Du beendest unsere Ehe für eine Frau, die du kaum kennst? Bist du verrückt geworden, Christoph? Nimmst du irgendwelche Drogen?«
»Wir haben uns einander ziemlich schnell angenähert.« Er wandte den Blick ab und starrte auf die Wandfliesen.
»Ist es eine Kollegin von dir?«
»Nein, sie ist Schülerin.«
»O Gott, mir wird schlecht.«
Christoph nahm die Hände aus den Hosentaschen und gestikulierte nervös. »Herrgott, Lyn! Ich unterrichte keine Fünfzehnjährigen. Thuy Me ist achtundzwanzig.«
»Wer?«, fragte ich verwirrt, dann kapierte ich. »Deine Freundin heißt – wie noch mal?«
»Thuy Me. Sie ist Chinesin.«
»Ich glaube, ich spinne.« Nun musste ich mich setzen. Mir wurde schwindlig, und meine Glieder fühlten sich schwer an. Achtundzwanzig? Also elf Jahre jünger als ich.
»Wie soll ich dir jemals wieder irgendetwas glauben? Die ganzen Lügen der letzten Zeit, darüber, warum du später kommst oder früher gehen musst.«
»Ich habe dich nicht gerne angelogen, wirklich.«
Müde hob ich den Kopf. »Danke, Christoph«, sagte ich ironisch.
Wir saßen eine Weile schweigend am Tisch. Egge im Auto hatte ich ganz vergessen.
»Keiner kann was dafür.« Christoph fasste über den Tisch, um meine Hand zu berühren, aber ich zog sie weg.
»Ach wirklich, ja? Du machst es dir ganz schön einfach. Du hast verdammten Mist gebaut, und keiner soll etwas dafür können? So funktioniert das nicht, Christoph. Wenn ich einen anderen Kerl hätte und du diese Frau nicht kennengelernt hättest, würdest du dann auch diese Einstellung haben? Ich glaube kaum. Also, verlang bitte nichts Unmögliches von mir.«
Er kratzte sich am Kopf und rutschte auf dem Stuhl herum. Wahrscheinlich wartete er darauf, dass ich endlich aufstand und ging. Vielleicht erwartete er sie sogar.
»Ist sie auch verheiratet?«
»Ja, aber ihr Mann ist ein Idiot.«
»Na, da haben du und Thuy Me ja viel gemeinsam. Ihr habt beide Ehepartner, die ahnungslose Trottel sind. Aber ich bin sicher, ihr Mann ist kein größerer Idiot, als ich es bin.«
»Hör auf, dich zu bemitleiden, Lyn.« Christoph wurde lauter, dann schrie ich: »Du hast gut reden, du
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