Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
gereicht.«
Ich erforschte sein Gesicht. Hier war das Licht heller als vorhin in der Diele. Er sah ganz und gar nicht aus wie ein ehemaliger Alkoholiker, sein Gesicht hatte immer noch diese feinen Züge und war glatt. Aber wenn man genau hinsah, konnte man durchaus auch Zeichen des Kummers erkennen. An den Schläfen war sein dunkelblondes, dichtes Haar leicht ergraut.
Was er wohl in meinem Gesicht sah? Wie nahm er mich wahr? Ich hätte viel darum gegeben, das zu erfahren. Egge kam mit einem Tablett vorbei, auf dem etwa zehn Caipirinhas waren. Ich schnappte mir ein Glas. »Ich bin eben ehrlich«, war meine Erklärung.
»Es spricht nichts dagegen, den Leuten wahrheitsgemäß zu antworten, aber es ist nicht immer nötig.«
»Ist es dir peinlich?« Ich rührte nervös mit meinem Strohhalm in meinem Caipirinha. Meine Finger zitterten, und ich hoffte, er würde es nicht merken.
»Nein, ist es nicht.«
»Na also.«
»Du musstest schon immer das letzte Wort haben.« Er blickte mir direkt in die Augen, und ich wusste, dass er neugierig auf meine Reaktion war. Aber es ist doch immer so, dass einem nie eine schlagfertige Antwort einfällt, wenn man sie am nötigsten braucht. Also sagte ich nur: »Das ist nicht wahr.« Ich dachte einfach nur: Noch banaler geht’s nicht, Lyn?
»Doch, doch. Das ist schon wahr. Aber egal. Ist ja lange her.« Er winkte ab, als würde er von der unwichtigsten Episode seines Lebens sprechen.
Das verletzte mich, und ich ärgerte mich darüber, dass es mich verletzte. »Stimmt. Viel zu lange, als dass es noch wichtig wäre.« Ich nahm einen kräftigen Zug von dem Cai pirinha. War es geschmacklos, dass ich vor ihm stand und Alkohol trank? Ich hatte keine Ahnung, wie man sich einem trockenen Alkoholiker gegenüber verhielt.
»Was machst du denn so, Lyn? Beruflich, meine ich.«
»Ich arbeite in einer Buchhandlung.«
Er hob die Augenbrauen, um Anerkennung zu demonstrieren. »Ah, schön. Du hast ja schon früher viel gelesen.«
Mir fiel auf, dass er zwar so tat, als interessiere ihn unsere gemeinsame Episode kein bisschen mehr, gleichzeitig aber immer wieder auf früher zu sprechen kam.
»Der Laden wird bald mir gehören. Meine Chefin überlässt ihn mir.« Hoffentlich hörte ich mich nicht an wie diese Großmäuler auf Klassentreffen, die ihre Leistungs-Konto-Liste herunterbeteten.
Bertram nickte anerkennend. »Das ist klasse. Wo ist denn der Laden?«
Ich nannte ihm die Adresse. »Willst du mal vorbei kommen?« Warum sagte ich das? Ich hoffte, er würde Nein sagen. Alte Geschichten sollte man bekanntlich ruhen lassen.
»Nein.«
»Oh. Du hast dir noch nie viel aus Büchern gemacht, ich weiß.«
Er lächelte. »Das hat sich später etwas geändert. Nagle mich nicht fest auf etwas, das ich als Teenager getan oder nicht getan habe. Ich lese schon ab und zu mal ein Buch, aber letztendlich doch lieber Zeitung.«
»Buch und Zeitung, das kann man aber nicht richtig ver gleichen.«
»Ich weiß. Wir sind doch aber beim Thema Lesen.«
Seine Besserwisserei fing an, mich zu nerven. Wahrscheinlich meinte er es gar nicht böse, trotzdem fand ich das Ganze langsam etwas anstrengend. »Entschuldige mich kurz.«
Ich ging Richtung Toilette, nicht weil ich musste, sondern weil ich von Bertram eine Pause brauchte. Das Wiedersehen brachte vieles wieder hoch. Es war ein ambivalentes Gefühl: einerseits schmerzhaft und auf der anderen Seite merkwürdig berauschend. Aber offenbar hatte er gewisse Dinge aus der Vergangenheit noch nicht ganz verarbeitet. Er kam mir ziemlich verbittert vor.
Als ich bei der Toilette angekommen war, sah ich Annett vor der Tür stehen. Sie sah etwas besorgt aus.
»Bilde ich mir das ein, oder riecht es hier nach Erbrochenem?«, fragte ich.
Annett nickte. »Dr. Nix geht es nicht gut.«
Ich hörte ihn drinnen würgen. »Oh, das klingt wirklich übel.«
Wir hörten die Klospülung, dann lief ewig lange das Wasser aus dem Hahn, und schließlich kam er heraus.
»Wohl ein Virus«, diagnostizierte er.
Annett nahm ihn am Arm und führte ihn Richtung Schlafzimmer. »Am besten legen Sie sich etwas hin, und ich bringe Sie dann nach Hause.«
»Nein, ich nehme mir ein Taxi«, hörte ich ihn noch sagen.
Der Geruch, der aus dem Raum kam, vergraulte mir die Lust aufs Alleinsein. Also ging ich in die Küche, in der Hoff nung, mit Antje ein bisschen quatschen zu können, aber die war kräftig mit Abspülen beschäftigt, während Helmut abtrocknete und Egge alles in die Schränke räumte. Um
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