Ohne Mann bin ich wenigstens nicht einsam
eigentlich glaubte ich nicht daran, dass ein Mensch ein völlig anderer werden konnte. Sein Verhalten vielleicht, seine Ansichten und Meinungen; man konnte toleranter oder gelassener werden. Aber im Grunde fühlte ein Bertram dasselbe, was Socke gefühlt hatte. Seine Erinnerungen waren nicht ge löscht, und er konnte nicht vergessen haben, wie verliebt er in mich gewesen war. Ich hatte später erfahren, dass Socke, nachdem ich Schluss gemacht hatte, wochenlang am Boden zerstört war und gesagt hatte, er würde sich nie wieder verlieben.
»Na ja«, sagte ich, so locker wie es mir möglich war, »ich muss gestehen, musikalisch habe ich mich nur bedingt wei terentwickelt. Zwar habe ich die Klassik und Oper entdeckt, aber mein E-Gitarren-Sound bleibt immer in meinem Herzen. Haha.«
»Wirklich?« Bertram hatte nicht den Anflug eines Lächelns im Gesicht.
Ich plapperte einfach weiter, um dieser grauen Stimmung etwas Farbe zu verleihen. »Hin und wieder taucht mal ein Künstler auf, den ich gut finde, aber grundsätzlich bin ich immer in meiner Zeit hängen geblieben, ja.«
Bertram zuckte die Schultern. »Mir gibt diese Musik irgendwie gar nichts mehr. Wenn ich im Radio diesen Siebziger- und Achtzigerjahrescheiß höre, dann muss ich den Sender wechseln.«
»Das hört sich ziemlich radikal an. Verbindest du mit der Zeit irgendwelche schlimmen Erinnerungen?«
»Oh, machen wir jetzt Küchenpsychologie, ja?«
Sein Sarkasmus war wie ein kleiner Schlag ins Gesicht. Um die Situation zu entkrampfen, sagte ich: »Wohl eher Autopsychologie.« Erst als ich es ausgesprochen hatte, merkte ich, was für ein schwacher Kalauer das war.
Er reagierte überhaupt nicht darauf, was die Sache noch peinlicher machte. »Aber du kannst mir doch trotzdem darauf antworten.«
»Mein Gott, Lyn.« Er klang gereizt und hob kurz die Hand, um sie anschließend wieder auf das Lenkrad fallen zu lassen. Sein Blick begann, aggressiv zu wirken. Ich fühlte mich so schrecklich unwohl mit ihm und wollte einfach nur aus diesem Auto raus. Ich musste an Sascha denken und wünschte mich sogar in sein winziges Pizzaauto.
Früher war es anders gewesen mit Bertram. Er hatte viel auf meine Meinung gegeben und war mir bei jeder Gelegenheit um den Hals gefallen und hatte mich geküsst. Unseren ersten Kuss habe ich nie vergessen. Er hatte mich zur S-Bahn begleitet, und wir standen alleine auf dem Bahnsteig. Es war mein erster richtiger Kuss, und noch Tage danach fühlte ich mich wie im Trancezustand.
»Meine Großeltern sind damals innerhalb kurzer Zeit gestorben, du hast mich abserviert, meine Eltern haben sich getrennt … Und noch ein paar andere Dinge, die ich nicht alle aufzählen möchte. Und dann fragst du mich allen Ernstes, ob ich mit dieser Zeit schlimme Erinnerungen verbinde? Hier ist die Straße. Muss ich rechts oder links abbiegen?«
»Rechts. Und was heißt, ich hab dich abserviert? Wir haben nicht zusammengepasst.«
Er prustete kurz in sich hinein. »Ich bitte dich! Du hast Schluss gemacht, weil wir nicht den gleichen Humor hatten.« Die letzten Worte hüllte er in viel Ironie und Spott. »Du hast mich belogen. Humor ist doch kein Grund, um Schluss zu machen.«
»Was soll ich denn sagen, Socke? Ich …«
»Bertram«, kam es eine Spur zu laut von ihm.
»Bertram«, nun sprach auch ich lauter, »ich war verdammte siebzehn Jahre alt – wovon sprechen wir hier überhaupt? Ich kann doch nach so langer Zeit keine Verantwortung dafür übernehmen, was ich als Minderjährige getan hab.«
Er brachte den Wagen zum Stehen. »Ist ja auch scheißegal.«
»Ich weiß nicht mehr so genau, warum ich Schluss gemacht hab. Das schwöre ich, Bertram. Natürlich ist es seltsam, sich von jemandem zu trennen, weil er einen anderen Humor hat. Aber vielleicht war mir das damals wichtig, keine Ahnung. Vielleicht war es ein Vorwand, weil ich meine Freiheit wiederhaben wollte. Ich weiß es einfach nicht mehr. Und es tut mir leid.«
»Was tut dir leid?«
»Weißt du was, Bertram? Du fängst an, mir auf die Nerven zu gehen. Ich wünsche dir noch ein schönes Leben.«
Auch wenn es übertrieben klingt, aber es ist die Wahrheit: Ich war noch nie so froh, jemandem Lebewohl zu sagen wie in diesem Augenblick.
Das Geräusch des wegfahrenden Wagens verschaffte mir Erleichterung. Während ich in meiner Handtasche nach dem Hausschlüssel kramte, hörte ich ein herannahendes Auto. Hier ging es ja zu wie auf einem Parkplatz. Als ich mich umdrehte, erblickte ich das winzige
Weitere Kostenlose Bücher