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Ohne Netz

Ohne Netz

Titel: Ohne Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Rühle
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Internetaufsätze, USB-Sticks, Familienfotos, aus denen ich für meine Eltern zu Weihnachten einen Kalender machen will. Leider kann ich von hier aus den Baum unten im Hof nicht sehen, den ich ein paar Tage vor Beginn des digitalen Fastens gepflanzt habe. Was war das befriedigend! Ich weiß wirklich noch nicht, ob ich mein aktuelles Fastenexperiment der Menschheit als lebensbereichernde Technik empfehlen sollte, aber an einem freien Vormittag die hässlichen Steinplatten im Hinterhof aufzuhacken, den mit Ziegelsteinbrocken und Nachkriegsschutt versetzten Lehm rauszuholen, das selbstgegrabene Loch mit Humus zu füllen und dann den kleinen Haselnussbaum mit seinem überraschend schweren Wurzelballen in dieses Loch zu stellen, das kann ich vehement empfehlen. Der steht da nämlich immer noch. Und wartet still und leise darauf, dass es irgendwann Frühling wird.
    15. DEZEMBER
    Post! Ich habe Post bekommen! Ein richtiger Brief, handgeschrieben, zweieinhalb Seiten, reflektiert, sympathisch. Thomas Mohol hat mir aus der Justizvollzugsanstalt Bernau geantwortet. Der erste, der mir so schreibt, wie ich mir das vorgestellt habe, mit dem ich in meinem neuen analogen Leben sozusagen auf Augenhöhe kommuniziere, ist also ein Gefangener. Ich könne gerne kommen, schreibt er, er habe aber nur zwei Stunden Besuchszeit im Monat, ich müsse den beiliegenden Antrag ausfüllen. Was ich postwendend tue. Und wenn ich hier mal zart vorgreifen darf: Das ist der Beginn meiner intensivsten Briefkorrespondenz. Was insofern passt, als Mohol der einzige Mensch in meinem Umfeld ist, der ebenfalls gezwungen ist zu radikal entschleunigter Kommunikation, die vom Haftpersonal noch mal verlangsamt wird: Da sowohl eingehende als auch ausgehende Briefe erst von einem Computer gescannt und, wenn darin auffällige Wörter stehen, von den Vollzugsbeamten gelesen werden, dauert es im Schnitt eine Woche, bis wir jeweils voneinander Antwort bekommen. Das ist jetzt so mein Rhythmus.
    16. DEZEMBER
    Abends, auf dem Heimweg, komme ich mit den Kindern am Tröpferlbad vorbei. Das war früher ein öffentliches »Brausen- und Wannenbad«, wie noch über dem Backsteineingang steht, ein öffentliches Bad für all die Arbeiterwohnungen ohne fließend Wasser. Heute ist darin ein Jugendzentrum untergebracht, das fest in Autonomen- und Punkerhand ist. Als wir an den Jugendlichen vorbeigehen, die in kleinen Grüppchen und dünnen Hosen in der Kälte rumstehen, verstummen die Kinder beeindruckt. Vier oder fünf Jungs telefonieren aufgeregt, es geht um »Bullen«, »Wannen«, »krass viele« und einen nicht näher definierten »Kackdreck«.
    Ein paar Meter weiter flüstert S. aufgeregt: »Das waren echte Indianer!«
    N.: »Oh Mann, das sind doch Punker.«
    S.: »Nein! Das sind Indianer, die hatten gefärbte haare und bei dem einen standen die so hoch wie so Stacheln.«
    N.: »Aber Indianer hatten noch keine Haarverfärbungsmittel. Und keine Handys.«
    Ich bin kein Punker. Und auch kein Indianer. Aber ich sollte nochmal was sagen zu meinem Handy. Dass ich momentan keines habe, ist eine Art Kollateralschaden. Ich hab ja den Blackberry abgegeben, weil der mich zum Sklaven meiner Mailbox machte. Dass ich dadurch auch mein Handy für ein halbes Jahr verliere, habe ich zwar sehr gern in Kauf genommen, aber es geht bei meinem Experiment um das Netz und seine Ablenkungs- und Nivellierungskräfte. Auf meinen Dienstreisen werde ich ein Handy brauchen, ich muss da erfahrungsgemäß ständig Termine verschieben und neu organisieren. Ich nehme aber ein altes, aus der Zeit, als Telefone noch nicht smart waren. Hab schon meine Eltern gefragt, ob sie mir ihr uraltes Ding leihen.
    Zu Hause sagte S. ganz beglückt zu B.: »Wir haben lauter Banker gesehen! Die hatten schwarze Jacken an, und alle haben telefoniert.«
    17. DEZEMBER
    Am frühen Abend, nach der Belichtung der Seiten, wenn von allen der Druck der Tagesproduktion abfällt, verspüre ich am stärksten das Bedürfnis zu surfen. Wahrscheinlich beweist das nur, dass das permanente Abbiegen ins Internet oft auch mit Müdigkeit zu tun hat, damit, dass man eigentlich eine Pause bräuchte. Richtige Pausen aber macht keiner. Wer ist denn so mannhaft, mal im Büro eine Viertelstunde zu schlafen? Sähe ja nach Faulenzen aus. Also konsumiert man stattdessen nach den Stressphasen irgendwelche Bits, einen Instantpixelsnack zwischenrein. Youtube ist das digitale Bounty unserer Zeit. Von draußen kann das ja keiner sehen, man starrt wie sonst auch

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