Ohne Netz
auf den Bildschirm.
Während ich am späteren Nachmittag hungrig schnüffelnd den Gang entlanglaufe, strömt köstlicher digitaler Duft aus all den anderen Büros: Holger schaut auf Youtube Bänkelsängervideos von Maria Lassnig an, Christopher dirigiert per Mail Theaterpremieren, Andrian bastelt zwischenrein an seinem SZ-Blog, und Bernd schwimmt als Onlinechef ohnehin den ganzen Tag durchs Netz. Ich aber laufe mit meiner Thermoskanne zum Wasserautomaten und muss daran denken, wie ich im Zivildienst, in Südfrankreich, mit meinem Pflegerkollegen Chris beschloss, eine Woche lang zu fasten. Das war eine ähnliche Schnapsidee wie mein aktuelles Einsamkeitsexperiment.
Nichts gegen Fasten an sich. Aber zu fasten, während man sich um eine 40-jährige Spastikerin kümmern muss, deren einzige sinnliche Freude das Essen ist, lappt schon ins Masochistische. Ich erinnere mich an keine einzige Speise derart intensiv wie an das Hühnchen, das sie sich am fünften Abend unserer Fastenkur von mir wünschte, provençalisches Huhn in Tomaten und Rosmarin, gespickt mit Knoblauchzehen. Ich musste damals mit leerem Magen eineinhalb Stunden dabei zusehen, wie sich das rosarohe Fleisch in ein knusperbraun duftendes kulinarisches Wunder verwandelte.
Chris und ich saßen abends, nach dem Pflegedienst, in der Küche und zelebrierten verzweifelt unseren Hunger: Schauten in den Kühlschrank, als sei’s ein Tresor voller Klunker – boah, schau mal, Butter, is das lecker! –, lasen einander Rezepte aus einem vegetarischen Kochbuch vor und beugten uns am Ende über die grüne Plätzchendose, die Chris’ Mutter kurz vor der Fastenwoche geschickt hatte, um an diesem Weihnachtsduft aus Orangeat, Kokos, Zucker, Zimt und Mandeln herumzuschnüffeln.
Am letzten Fastentag sind Chris und ich auf den Markt gefahren und haben eingekauft, als kämen am Tag darauf zehn Leute zu Besuch. Mandelgefüllte Oliven, Mortadella, knusprige Baguettes, Ricotta, Provolone, Mozzarella – jeder Arzt hätte sich mit Schaudern abgewandt. Man soll ja eigentlich langsam wieder anfangen, Süppchen hier, Zwieback da, tagelanges Aufbauprogramm. Wir zwei aber saßen auf der Terrasse, aßen und fraßen, hingebungsvoll wie Obelix, und waren einfach nur glücklich, dass es vorbei war. So ähnlich stelle ich mir, während ich hungrig die Redaktionsgänge entlangstreife, das Ende meiner digitalen Fastenzeit vor: Ich fürchte, ich werde danach kein geläuterter Mensch sein, gereinigt, näher am Urgrund des Seins. Momentan träume ich davon, dann eine Party zu machen. Jeder, der kommt, muss mir als Geschenk einen tollen Link aus dem letzten halben Jahr mitbringen, den man mit einem Beamer an die Wand wirft, und dann werde ich die ganze Nacht durch hemmungslos digital schlemmen. Und wer jetzt sagt, diese Phantasie widerspreche doch meinem Erstaunen von vor ein paar Tagen, dass mir der Blackberry nicht fehle, dem sage ich, dass er sich mal im eigenen Leben umschauen möge. Der Mensch ist widersprüchlich, sprunghaft, hü und hott. Ich zumindest bin so.
18. DEZEMBER
Nanu, was ist denn jetzt plötzlich los? Es kommen zwei Postkarten und zwei Faxe von Leuten, die mir anscheinend zunächst eine Mail geschrieben haben und die dann, nach dem kargen Dialog mit meinem Abwesenheitsagenten, zum Stift gegriffen haben. Alle schicken halb belustigte, halb sehnsüchtige Glückwunschgrüße, jedes Mal wird betont, das sei ihre erste handschriftliche Äußerung seit langem, und jedes Mal klingt an, das würden sie selber gerne machen. Einer schreibt, ihn erinnere mein Experiment an das Zen-Sesshin, das er in diesem Jahr besucht habe.
»Sie haben’s gut«, seufzt eine Leserin und erklärt dann aber ausführlich, warum es ihr völlig unmöglich sei, auf Mail oder Netz zu verzichten, und ein Anrufer sagt, 14 Tage E-Mail-freie Zeit im Jahr müssten in die Menschenrechts-Charta. Jurgen Ostarhild, ein Fotograf aus Paris, den ich gar nicht kenne, schreibt gar, er wolle mich unbedingt fotografieren, und zwar einmal jetzt, zu Beginn meines Experiments, und dann noch mal am Ende. Glaubt der, dass das Internet derart zerrüttende Folgen für uns hat, dass man mir die Abstinenz sofort ansieht? Habe ich etwa im Mai ein analoges Strahlen im Gesicht?
Momentan glaube ich eher, dass man mir ansieht, was für einen Stress das Abschalten bedeutet. Wenn die sehen könnten, wie mühsam ich mich durch den Alltag hangle – ich weiß nicht, ob sie noch solche euphorischen Grüße schicken würden. Ich radle im
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