Ohne Netz
weltweit pro Jahr verschickt werden, verursachen einen Stromverbrauch von 33 Milliarden Kilowattstunden. Climate Group, ein Thinktank aus London, berechnete, dass im Jahr 2007 fast eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid auf das Konto unserer Computer, Handys und Drucker gingen.
Ich gebe zu, dass eine kleine nächtliche Einbauküche mit einem matt vor sich hinspülenden Erwachsenen darin nicht gerade die perfekte Kulisse für das Erscheinen einer Wunschfee ist. Aber ich wünsche mir jetzt trotzdem mal was, ist schließlich bald Weihnachten: Ich wünsch mir, dass CO2 bestialisch stinkt. Und dass jedes iPhone und jeder Blackberry, jeder Apple und all die anderen ultrasauberen, strahlend weißen, lautlosen Geräte unserer Zeit einen kleinen, knatternden Auspuff hinten dran haben, aus dem sabbernd und spotzend das Gift rauskommt, das das Gerät in Wahrheit erzeugt.
Als ich später in der Stadt an all den Verkabelten vorbeiradle, den Simsern und Telefonierern und Kopfhörern, frage ich mich, inwieweit unser kollektives Nonstopgequatsche vielleicht auch eine Art Abwehrzauber darstellt gegen die anrollende Riesenkatastrophe. Jeder weiß ja mittlerweile, dass das Klima kippen wird, WTO, EU, Obama- alle lavieren rum und wurschteln hilflos am Rande des totalen Zusammenbruchs weiter. Also lieber wegtauchen und surfen gehen. Während des Radelns denke ich noch, dass das depressiver Bullshit ist. Als ich dann aber zur Arbeit komme, hat mein Kollege Holger Liebs auf Spiegel Online gerade zwei Texte zum Scheitern von Kopenhagen offen und sagt, man müsse doch was machen, er finde das ganz schrecklich, und ob er jetzt zu Greenpeace solle oder was. Ich sage ihm, er könne seinen Stromanbieter wechseln, und erzähle ihm von wir-klimaretter.de, aber schon während er die Adresse eingibt, scheint es ihn nicht mehr wirklich zu interessieren: »Haste schon auf Youtube die zwei rappenden Kunstkuratoren gesehen?«
22. DEZEMBER
Mein Kollege Marc Felix Serrao kommt vorbei und bringt mir einen Ausdruck von Markus Albers, der darüber bloggt, dass er in seinem zweiwöchigen Toskana-Urlaub unfreiwillig auf Entzug war, weil es kein Netz gab. »Hier«, sagt Felix, »noch so ein Verrückter. Aber der hat nach zwei Wochen zurückgefunden ins normale Leben.« Albers benutzt genau wie ich die Suchtmetaphorik, nur dass es bei ihm anscheinend sehr viel schneller ging mit der Heilung: »Es hatte etwas von kaltem Entzug in vier Stufen. Ich war erst ungläubig, dann unruhig, schließlich unleidlich. Und, oh Wunder, eines Morgens plötzlich clean. Ich akzeptierte das Offline-Sein, stellte den Frühstückstisch in die Sonne, streichelte den Hofhund und kochte Kaffee. Wir lasen den ganzen Tag Bücher und gingen abends Pasta-Essen.«
Meine Güte, klingt das bei mir auch so nach Werbefilm und ganzheitlichem Instantglück? Der Mann war zwei Wochen im Urlaub und schon, oh Wunder, ist eines Morgens alles gut? Ich esse zwar auch Pasta, aber in der Kantine. Der Kaffee kommt röchelnd aus einem ekelhaften Automaten, und von tiefkonzentriertem Bücherlesen mit Hofhund fehlt bisher jede Spur.
Der letzte Absatz ist grob unfair, Markus Albers’ Text ist ein sehr sympathischer Blogeintrag, der Mann tut nämlich am Ende gar nicht so, als habe diese Auszeit sein ganzes Leben verändert. Im Gegenteil, er schreibt, dass er, kaum aus dem Urlaub zurück, sofort wieder anfing mit seinem Suchtverhalten, permanent Mails checkte und sich beim Essen mit Freunden »bei der zeitgenössischsten und zugleich erniedrigendsten aller Kulturtechniken ertappte: Dem Vorwand,s aufs Klo zu gehen, um dort heimlich E-Mails zu checken. Und kurz Twitter. Und vorm Rausgehen noch schnell den Feedreader.« Also Entschuldigung für die voreilige Breitseite.
Dass ich so gereizt reagiert habe, hat mit etwas anderem zu tun: Eine der größten Unaufrichtigkeiten im kritischen Reden übers Netz ist, dass man es oft so isoliert betrachtet. So als müsse man nur mal fünf Tage ausschalten, und schon sprudele aus unser aller geheimem Lebensquell erfüllte Zeit hervor wie leise murmelndes Heilwasser. So als sei das Netz an all unseren Daseinsdeformationen schuld. Und als sei man selber halt ein wenig undiszipliniert, müsse sich nur mal am Riemen reißen und abschalten, schon sei das Leben ein Ballsaal stillen Glücks.
Klar, das Netz beschleunigt und lenkt ab. Aber alles andere beschleunigt ja auch. Der berufliche Alltag eines durchschnittlichen Menschen ist eben genau das Gegenteil eines sinngesättigten
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