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Ohne Netz

Ohne Netz

Titel: Ohne Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Rühle
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ziemlich beeindruckend auf den Punkt: »Same old fucking problems, same old shit, same old me.« Würde ich hier täglich die immergleichen Telefonate beschreiben, in denen ich erkläre, nein, tut mir leid, ich kann Ihnen nicht mailen, nein, Sie mir auch nicht, das ist ja der Witz; würde ich die immergleiche Mühsal beschreiben, die es macht, den Alltag infrastrukturell am Laufen zu halten, jeder würde nur gähnend sagen, dann lass es halt bleiben mit deinem beknackten Experiment. Aber als Kondensat muss man’s doch ab und zu erwähnen: Kein Netz bedeutet eine Arbeitsverkomplizierungszumutung, die einige Kollegen nach vier Monaten nur noch unter Aufbietung ihrer letzten Ironiereserven zu ertragen bereit sind. Ich bin Mitglied im Redaktionsausschuss, einem Gremium, das regelmäßig tagen muss, Papiere entwirft, einander Mail-Entwürfe hin- und herschickt, ah, Moment, aber wer bringt dem Alex diesmal einen Ausdruck vorbei? Ach, der hat wieder seinen freien Monat? Kann man dem denn wenigstens was faxen? Auch nicht!?
    Den Sommerurlaub mit einer befreundeten Familie muss diese Familie ganz alleine organisieren, ich kann schließlich keine Häuser im Netz anschauen. Meiner Frau aber kann ich schlecht sagen, dass sie sich ihr Geburtstagsgeschenk, drei Tage Lissabon, doch bitte selber im Netz organisieren soll. Also betrete ich erstmals im Leben die fremde Welt eines Reisebüros. Muss sagen, gar nicht schlecht, man wird kompetent beraten und richtiggehend umsorgt.
    Bei der Auskunft könnte ich mittlerweile Mengenrabbat beantragen. Wundert mich eigentlich, dass sie da nicht sagen, ah, da ist ja unser Vollpfosten ohne Netz, ich stell Sie gleich durch an die Serviceabteilung. Die Post verdient auch sehr gut an mir, alle paar Tage kaufe ich Briefmarken nach, trotzdem sind sie dauernd alle. Ich kann mir nicht im Nachhinein auf Youtube die vier Messi-Tore aus dem Viertelfinal-Rückspiel Barcelona gegen Arsenal anschauen, und als ich wieder eine Lesung moderieren muss, habe ich zwar das dicke Buch, um das es geht, gelesen, weiß über den österreichischen Autor Walter Klier selbst aber nur, was in den vier Zeilen Klappentext steht. Ich gestehe dem Mann einfach, was Sache ist, da lacht er schallend, »bist narrisch«, steckt mir dies und das aus seinem bunten Leben, und wir schaukeln den Abend dann gemeinsam.
    Und ich könnte mittlerweile professionelle Beratung über stoßfeste USB-Sticks zwecks postalischem Versand anbieten. Vier meiner USB-Sticks sind futsch, einer kam verbogen zurück, drei gingen verloren, was beim ersten Mal zu Panikattacken führte, nachts wachte ich auf und wusste ganz sicher: Der Umschlag ist beim Postamt aufgegangen, der Aushilfsbote, der in seiner Freizeit beim »Chaos Computer Club« mitwerkelt, hat den Stick gefunden, geöffnet und mein Tagebuch ins Netz gestellt. Mittlerweile nehme ich das Verschwinden dieser Sticks als Naturgesetz hin, mit denen ist es anscheinend wie mit Schnullern, man hört irgendwann einfach auf, sich zu fragen, wo die nun schon wieder alle hin sind, und kauft klaglos neue.
    Was aber richtig schön ist: Da ich nicht mehr bei Amazon meine Bücher bestellen kann, lerne ich verschiedene Münchner Buchhändler kennen und bleibe irgendwann bei einem Laden am Isartor hängen, in dem man Tee angeboten kriegt und auf knarzenden Stühlen in Ruhe lesen kann, während die neue Eels-CD läuft. Als ich dort im Januar telefonisch zwei Bücher bestellte, sagte die Auszubildende, das tue sie dann einfach zu der gestrigen Bestellung dazu. Gestrige Bestellung!? Das war damals mein allererster Anruf bei denen. »Gestern kamen hier per Mail lauter Bestellungen an. Von einem A. Rühle.« Oha, habe ich eine digitale Doppelexistenz? Langweilt sich mein Abwesenheitsagent und schickt auf eigene Faust Mails los? Torpediert irgendjemand mein Projekt, und mailt in meinem Namen kreuz und quer Leute an? Dieser Strauß giftbunter Fragen, der in Sekundenschnelle vor meinem geistigen Auge aufblühte, beweist: Auch im analogen Leben sprießt die Paranoia an allen Ecken und Enden. Als mir die Sache keine Ruhe ließ und ich später noch mal anrief wegen meines mir unheimlichen Doppelgängers, sagte Frau Moths, keine Angst, Ihr Namensvetter ist ein älterer Herr, der bestellt seit vielen Jahren bei mir.
    15. APRIL
    Langsam nervt mich, wie sich alle, die um meinen Versuch wissen, immer entschuldigen, wenn sie ihr Smartphone oder ihren Blackberry zücken. Sie grinsen dann immer so schief, rollen die Augen, als

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