Ohne Skrupel
Entsprechend schmucklos waren die
Literflaschen. Aber das interessierte Victor nicht im Geringsten. Bevor er das
Lokal verließ, forderte und erzwang er sich einen ganzen Eimer voll Eiswürfeln
zum Mitnehmen. Der Wirt machte förmlich Bücklinge ob des fetten Umsatzes.
Victor Ivan zog sich somit mitsamt seiner Beute, drei Liter Grappa und ein
Eimer Eis, schon um 21:00 Uhr auf sein Hotelzimmer zurück und nahm sich fest
vor, Wetter, Hotelzimmer, das Bett und seinen Job jetzt schön zu trinken. Der
Zahnputzbecher war ein perfektes Trinkgefäß, randvoll mit Eiswürfeln gefüllt
und dann mit Grappa vollgegossen – so war dieses Zeug sogar trinkbar....
Um 21:18 Uhr war die erste
Flasche leer. Bei der zweiten Flasche störten ihn schon die Eiswürfel beim
Trinken auf EX und ab der halb leeren Flasche machte er nur noch den Becher
voll und verzichtete auf das lästige Eis. Um 21:45 musste er sich schon sehr
konzentrieren, um die dritte Flasche überhaupt öffnen zu können und gab sich
nun auch nicht mehr mit dem Becher als Trinkgefäß ab, da er feststellte, dass
die Eingießöffnung des Bechers unzumutbar klein für einen soliden Strahl Grappa
war. Er verschüttete mehr als er traf. Die Flasche an den Mund geführt,
funktionierte besser. Gerademalso die dritte Flasche Grappa erlebte das
Schlagen der Kirchenuhr um 22:30 Uhr nicht mehr und Victor Ivan hatte sein Ziel
erreicht. Er fühlte sich wie im schönsten Hotelzimmer der Welt, fühlte förmlich
die warme Sonne auf seiner Haut und liebte seinen derzeitigen Job und den Rest
der Welt.
Der nächste Morgen machte
Victor Ivan allerdings eine Sache bewusst: Victor Ivan war Allergiker! Er hatte
ganz offensichtlich eine Schuhlederallergie! Jedes Mal wenn er mit Schuhen an
seinen Füßen und auf dem nackten Boden liegend morgens erwachte, zeigten sich
die Symptome ganz stark – rasende Kopfschmerz, Orientierungslosigkeit,
Übelkeit, verspannter Nacken und diverse blaue Flecken an allen möglichen
Stellen....
Jedenfalls: Es war
Samstag der 3. April, 14:30 Uhr, als Victor erwachte. Victor Ivan war wirklich
kein Weichei und Undiszipliniertheit ließ er normalerweise nicht bei sich
durchgehen. Normalerweise. Aber dieser Tag war nicht normal! Es war nicht
normal, dass man während eines Jobs etwas trinkt, bis 14:30 Uhr schläft und
beim Pissen einen Geruch von sich gibt, als ob ein Schnapsfass undicht wäre,
dass einem aufgrund einer Schuhlederallergie der Schädel fast explodierte und
man sich die erste halbe Stunde gar nicht erinnern konnte, wo man gerade war
und was man zum Teufel in dieser schäbigen Absteige wollte, wo die Türe vom
Schrank aus den Angeln gerissen und quer auf dem Bett lag, in welchem man
offensichtlich nicht mal geschlafen hatte. Es war ein verwirrend unnormaler
Tag!
Nun gut: An Tagen wie
diesen, die offensichtlich nicht normal waren, war es auch angebracht sich
nicht normal zu verhalten, sich nochmals hinzulegen und nochmals zu versuchen
noch ein bisschen zu schlafen.
***
Antonio Fontanelli war 59 Jahre alt
und fit im Geist und Körper. Er war Steinbock im Sternzeichen und geboren am 2.
Januar. Er mochte geordnete Verhältnisse und planbare Stabilität. Antonio
blickte zurück auf ein erfolgreiches Leben mit einer Frau, mehreren Geliebten,
drei ehelichen und zwei unehelichen Kindern, sechs Enkeln und einem Urenkel.
Nun hatte er den letzen Lebensabschnitt vor sich und bereitete sich mental
darauf vor. Seine Hobbys wie Oldtimer sammlen und reparieren, Fernreisen
ausarbeiten und Kochen würden nun schon bald den nötigen Zeitanteil bekommen
und könnten ihm zu ungeahnten Glücksmomenten verhelfen.
Jetzt fehlte nur noch der
goldene Handschlag und die Abwicklung seiner Firma. Antonio Fontanelli war der
alleinige Chef und Eigentümer der Ferromatrix Srl , eines etablierten
Herstellers von metallbasierten Autoteilen. Die Ferromatrix fertigte
hauptsächlich für Fiat , Autotüren für den Cinquecento , den Brava ,
den Seicento und den Panda und Stoßstangen, verchromte Zierteile
und Motorhauben für ein paar der Lancia- and Alpha Romeo -Modelle.
Die Ferromatrix Srl war gut im Geschäft und ermöglichte Antonios Familie
ein sehr gutes Auskommen und ein solides Vermögen, zu dem mehrere Mietshäuser
und die Villen der Kinder und Eltern gehörten.
Aber Antonio hatte keine
wirklichen Nachfolger für seine Firma. Trotz seiner eigenen fünf Kinder und den
sechs Enkeln, trotz der vielen Kinder von seinen vier Geschwistern und deren
Kindern: Es wollte oder
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