Ohne Skrupel
Toten – die Lebenden dürfen nur drinnen lachen, irgendwie peinlich.“ Und je
mehr JP darüber nachdachte, umso mehr musste er lachen! Superwitzig! Er konnte
es einfach nicht mehr kontrollieren. Es schüttelte ihn geradezu. Der Arzt
konnte ihn kaum behandeln, so wurde er von seinen Lachkrämpfen geschüttelt. Der
Bauch, das Zwerchfell, das Gesicht, alles tat ihm schon weh. Er hätte so gerne
aufgehört zu lachen, aber es ging einfach nicht. Alles war so derart ulkig.
Langsam spürte nun JP die
anderen Schmerzen – die verdeckten Verletzungen – der Moment der Gnade war
vorbei. Die Endorphine haben ihren Job erfüllt. Einsatz beendet! Welcome to
reality! Die Türe seines Rettungswagens wurde von außen geschlossen. „Ins
Schwabinger Krankenhaus, mit Sirene und Vollgas!“, drang es noch dunkel an sein
Ohr. Dann setzte das Sedativum unvermittelt ein. Danke – die Gnade war wieder
zurück! Und jetzt wurde es auch still! Endlich still! Danke!
München, 30. April
2010, Krankenhaus Schwabing , 17:30
Uhr
„Wie heißt er?“, hörte JP bei
geschlossenen Augen. Er hatte keinerlei Lust auf Frage-/Antwortspielchen und
beschloss solange den Schlafenden zu spielen, bis er sich einen akustischen
Überblick verschafft hatte. „Giovanni Paul Davide Santa Cruz, geboren am
10.12.1980 in Rom, amerikanischer Staatsbürger, wohnhaft in München, Schwabing,
Römerstraße 21, seit knapp zwei Jahren in München, mehr hab‘ ich noch nicht.“,
hörte er eine andere Stimme. „Und wie passt der jetzt in das ganze Chaos?“,
meinte die erste Stimme – versuchtes Hochdeutsch, vielleicht Mitte Dreißig, mit
leichtem Rheinländer-Einschlag, wahrscheinlich ein zugereister Wahl-Münchner.
Klingt nach Wichtigtuer und wahrscheinlich karrieregeil.
Die zweite Stimme, auch
männlich, eher über die 40, Bayer, dem Tonfall nach aus dem Umland um München.
Tiefe Stimme, hört sich gemütlich, eher sympathisch an. Santa Cruz wusste nicht
warum, aber es war ihm klar, die beiden waren von der Polizei. JP verlieh dem
Bayern innerlich den Arbeitstitel „Bulle“ und dem Rheinländer den Titel
„Chefchen“, zur leichteren Zuordnung. Bulle: „Keine Ahnung, wir müssen ihn
fragen, sobald er zu sich kommt. Er ist irgendwie der Computerfuzzi im Haus und
anscheinend hat er 112 angerufen und Feuerwehr- und Polizei-Hilferufe bei uns
gemacht.“ Chefchen: „Versteht er uns? Ich meine sprachlich? Santa Cruz klingt
irgendwie spanisch und bei den vielen Vornamen kennt man sich gar nicht mehr
aus. Wie schwer ist er verletzt?“ Bulle: „Ich denke schon, dass er Deutsch
spricht. Sein Kollege liegt im Zimmer nebenan, den kann ich gleich mal fragen.
Sofern er wieder ansprechbar ist. Vorhin ist er mir während des Redens ständig
eingepennt. Die Jungs sind alle vollgedröhnt mit Medikamenten. Kein Wunder bei
den Verletzungen. Der Doktor sagt, bei Santa Cruz sieht es viel schlimmer aus,
als es tatsächlich ist. Wohl gut durchtrainierter Bursche. Glück gehabt.“
Chefchen: „Bleib dran, Korbinian, ruf mich, sobald er die Augen aufmacht. Ich
muss wissen, was da genau passiert ist, bevor ich beim Alten Bericht erstatte
oder die Geier von der Presse über mich herfallen. So eine Sch ... , ich hab
heute Hochzeitstag und wollte etwas früher abhauen, sonst gibt‘s Ärger mit der
Regierung daheim. Aber so wie ich das sehe, wird das nix!“ Bulle:“ Ja, Manfred,
so sehe ich das auch. Du kannst von Glück sprechen, wenn Du heute überhaupt
heimkommst. Aber das ist ein echter Notfall, das wird sie schon verstehen.“
Chefchen: „Schön wär´s, aber sie sagt, ich habe jedes Mal, wenn wir privat was
vorhaben, einen Notfall. Sie kann´s schon nicht mehr hören.“ Bulle: „Aber bis
jetzt schon drei Tote und sieben Verletzte, zum Teil schwer, wer weiß, ob die
noch alle durchkommen. Und vielleicht haben wir noch nicht alle gefunden. Das
ist wirklich ein Notfall! Wann hatten wir schon sooo eine Explosion in München?
Das letzte Mal bei den Olympischen Sommerspielen 1972, oder?“ Chefchen: „Ja,
ich weiß schon, aber Frauen sind da anders. Meine zumindest. Am Hochzeitstag
ist nicht mal ein Weltuntergang ein akzeptabler Notfall.“ „Manfred, Du wirst in
den nächsten Tagen zig Interviews geben und mit dem Fall hier berühmt werden,
das mag Deine Frau! Die ist doch gerne die Frau von Herrn Dr. Manfred Koller,
dem berühmten Ermittler in der Malinger Katastrophe. Das wird sie besänftigen.“
„Grins ... gib mir Bescheid, Korbinian,
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