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Ohnmachtspiele

Ohnmachtspiele

Titel: Ohnmachtspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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Abteil. Eng und stickig war es dort, es roch nach verbrauchter Luft. Er nahm seinen Mantel, seinen Laptop, ging in den Speisewagen, wo er einen Cappuccino bestellte. Ein Blick aus dem Fenster: triste Hügellandschaft im Raureif, kein Haus weit und breit … kein Empfang, kein Telefon … jetzt würden die anderen Gäste wohl bald die Fenster nach unten schieben und auf die Büffel schießen. Er sah auf die Uhr: halb neun. In einer Dreiviertelstunde wäre er in Unzmarkt, von dort aus könnte er Bergmann anrufen … was sollte bis dahin schon passieren. Maurer, Maurer, Karl Maurer … war ihm dieser Name nicht schon einmal untergekommen? Aber wo, verdammte Tabletten, sie gossen seine Synapsen in Bernstein, er kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder, als wollte er sein Gehirn zu Liegestützen zwingen. Karl. Maurer. Die Müdigkeit legte sich wie eine Röntgenschutzdecke auf ihn. Diesen Tag würde er nicht überstehen, ohne zwischendurch irgendwo eine Stunde zu schlafen. Er sank nach vorne, immer wieder nickte er kurz weg; riss seinen Kopf rechtzeitig nach oben, bevor er auf die Kaffeetasse geknallt wäre. Kurz vor Unzmarkt verlangte er die Rechnung und zog seinen Mantel an, was der Speisewagenkellner erleichtert zur Kenntnis nahm. Der Regionalexpress nach Murau stand schon am Bahnsteig gegenüber. Schäfer blieben vier Minuten, die er nützte, um hastig eine Zigarette einzusaugen. Dann stieg er ein und setzte sich in den offenen Waggon. Langsam rollte der Zug aus dem Bahnhof. In dieser Gegend war er noch nie gewesen; sie erinnerte ihn an den Norden von Slowenien, wo er einmal ein paar Tage die dortige Polizei bei einem Mordfall unterstützt hatte. So sah sein Leben aus: Die meisten Orte und Landstriche, die er kannte, assoziierte er automatisch mit Ermordeten. Sogar im Urlaub in Griechenland war er einmal mit einem Doppelmord konfrontiert gewesen – damals hatte er sich ernsthaft gefragt, ob nicht er selbst die Verbrechen anzog; wie Columbo, der sogar auf einem Kreuzfahrtschiff über einen Mord stolperte; war das sein Drehbuch? Er dachte an das letzte Gespräch mit seinem Therapeuten, blieb mitten in einem Gedanken hängen, weil ihm einfiel, dass er Bergmann anrufen wollte. Schon wieder kein Empfang – auch das schien ihm mittlerweile seltsam inszeniert.
    Als er in Murau aus dem Zug stieg, setzte er sich noch am Bahnsteig auf eine Bank und nahm sein Telefon aus dem Mantel.
    „Hallo Bergmann … Unterwegs … Möchte ich Ihnen nicht sagen … Ach ja … Wenn wir das so einfach hinbringen, wieso sollte es für jemand anderen viel schwieriger sein, ein Telefon abzuhören … Nein, keine Sorge, ich bin weit genug weg … Unterstehen Sie sich, mich orten zu lassen … Mein Telefon piept, dürfte der Akku bald aufgeben … Hören Sie jetzt zu: Finden Sie alles über einen Karl Maurer heraus … Ja, den Namen hat mir der Holzleitner gegeben. War offenbar ein Schulfreund von Chlapec … Bergmann?“
    Schäfer sah auf das dunkle Display. Durchaus verständlich: Er konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann er das Telefon zuletzt ans Ladegerät angeschlossen hatte.
    „Entschuldigung“, sprach er einen vorbeikommenden Gleisarbeiter an, „wo ist hier der Polizeiposten?“
    „Polizei?“, wiederholte der Mann und schaute ihn prüfend an, „eh in der Bahnhofstraße … gehen Sie aus dem Bahnhof raus, hundert Meter auf der rechten Seite …“
    Als Schäfer besagte Straße entlangging, brach die Sonne durch die Wolken und es wurde umgehend ein paar Grad wärmer. Er verlangsamte sein Tempo und hielt das Gesicht nach oben. Bergmanns Tageslichtlampe in Ehren – aber das Original ist eben nicht zu übertreffen. Über den rotgeschindelten Dächern der Stadthäuser sah er den Kirchturm aus dem Zentrum herausragen. Er beschloss, zu tun, was er fast immer tat, wenn er auf dem Land Informationen aus der Vergangenheit brauchte: den Pfarrer aufsuchen. Das Polizeirevier, das in einem sonnigen Dornröschenschlaf zu liegen schien, ließ er links liegen und spazierte ins Ortszentrum. Als er die Mur überquerte, wurde es plötzlich dunkler; er sah nach oben, wo ein breites Wolkenband rasch über den Himmel zog. Ein paar Sekunden blieb Schäfer auf der Brücke stehen. Dann begann er zu laufen. Sah zu seiner Rechten eine Trafik, die er mit seinem Dienstausweis in der Hand betrat. Er bräuchte ein Telefon, sofort. Die Besitzerin solle bitte vor der Tür warten, bis er fertig sei; er schlüpfte aus seinem Mantel und gab ihn der

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