Ohnmachtspiele
Festnetznummer der Tankstelle besorgen; und den Namen des Verkäufers. Der Hubschrauber soll weg. Stellt die verdammte Sirene ab. Gut, rufen Sie an.
„Herr Maurer, ich bin Leutnant Bruckner. So, wie es aussieht, befinden wir uns hier in einer Situation, aus der wir alle gern heil herauskommen möchten … niemand wird auf Sie schießen, wenn Sie ruhig bleiben und Ihre Waffe nicht benutzen … darauf haben Sie mein Wort, Herr Maurer … natürlich können wir die Scharfschützen abziehen … hören Sie: Sie können Ihre Lage entscheidend verbessern, wenn Sie Herrn Preclik gehen lassen … dann können wir in aller Ruhe weiterreden … niemand wird schießen, wenn ich es nicht befehle … ich glaube Ihnen, dass das nicht Ihre Idee war … aber wir sind auch nicht hier, um Sie zu verurteilen … wir wollen Sie und Herrn Preclik aus dieser Situation befreien … Herr Maurer: Wenn ich zu Ihnen hineinkomme, dann können wir das persönlich besprechen … nur wir beide … ich bin unbewaffnet … dafür lassen Sie Herrn Preclik gehen …“
Schäfer traute sich kaum zu atmen. Er sah die Bilder vor sich, als wäre er selbst vor Ort: Bruckner zieht seine Lederjacke aus und eine schusssichere Weste über, legt seine Dienstwaffe aufs Autodach und geht langsam über die Straße. Hinter den Absperrbändern die Schaulustigen, die ersten Reporter und Kameraleute.
„Bruckner ist jetzt drin“, hörte man im Wachzimmer in Murau Bergmanns Stimme aus dem Telefonlautsprecher.
Schäfer schwitzte und hatte so starkes Herzrasen, dass er einen der Beamten um ein Glas Wasser bat und eine Tablette schluckte. Einer der Polizisten öffnete ein Fenster, um den Rauch hinauszulassen.
„Was ist los?“
„Sie reden … ich glaube, in der Gegend war es noch nie so ruhig wie jetzt … der Typ von der Tankstelle kommt raus …“
„Sehr gut … bravo, Bruckner …“
Dann fiel ein Schuss. In Murau hörten sie, wie eine Scheibe zerbrach, danach Rufen, das helle Knattern der Sturmgewehre, Schüsse aus den Glocks, dazwischen Bergmann, der befahl, das Feuer einzustellen, eine Ewigkeit schien es zu dauern, bis der letzte Schuss verhallt war. Eine alte Frau betrat das Wachzimmer, wartete vergeblich darauf, dass einer der Polizisten sich um sie kümmerte. Schließlich wurde der Rangniedrigste auf Weisung des Revierinspektors in den Empfangsbereich geschickt.
„Ich möchte eine Anzeige machen …“
„Bergmann?“
„Worum geht’s denn?“
„Der hat auf Bruckner geschossen … und … ich muss jetzt auflegen … hier ist die Hölle los.“
„In der Kirche fehlt ein Bild!“
Schäfer stützte seine Ellbogen auf und legte das Gesicht in die Hände. Bitte nicht Bruckner!
„Was für ein Bild?“
„Beim Seiteneingang … wo die ganzen Votivbilder hängen …“
„Votivbilder?“
„Ah, Sie wissen ja überhaupt nichts … wenn es bei einem Hofbrand keine Toten gegeben hat, oder wenn eine Ernte besonders gut war, haben die Leute früher Bilder malen lassen und dort aufgehängt.“
„Na gut“, seufzte der junge Inspektor, „wie heißen Sie denn?“
„Anna Winkler, geboren 2. Januar 1921 in Murau, Köchin im Ruhestand.“
Schäfer drehte sich um, stand auf und ging in den Empfangsbereich.
„Ähm, Entschuldigung“, wandte er sich an die Frau, „wenn Sie hier fertig sind: dürfte ich Ihnen dann ein paar Fragen stellen?“
36
„Ich muss noch einkaufen gehen“, sagte die Frau. „Kommen’S mit, dann können’S mir tragen helfen.“
„Ja“, war das Einzige, das Schäfer dazu einfiel. Er bat sie, einen Augenblick zu warten, damit er sich von einem der Beamten ein Diensttelefon ausborgen konnte. So schnell wie möglich musste er wissen, wie es um Bruckner stand. Er verabschiedete sich von den Murauer Kollegen und versprach, sie auf dem Laufenden zu halten. Als er sich umdrehte, spürte er ihre Blicke auf ihm. Der Moment, in dem sie enger zusammenrückten und sich verbunden fühlten; sobald einer von ihnen verletzt oder gar getötet wurde; wenn der Beruf zur Religion wurde. Wie sollte man denn gesund bleiben, wenn die stärksten Emotionen, die man empfand, immer mit den tragischsten Erlebnissen zusammenhingen?
„Gehen wir“, sagte er zu der alten Frau und hielt ihr die Tür auf.
Auf dem Weg zum Supermarkt hörte er ihr mit einem Ohr zu, wie sie den Zustand einer Welt beklagte, in der selbst ein Votivbild in der Kirche von Murau nicht mehr vor diesem Gesindel sicher sei. Er murmelte ein paar zustimmende Worte, da er sie
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