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Ohnmachtspiele

Ohnmachtspiele

Titel: Ohnmachtspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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länger als ein halbes Jahr da war.“
    „Also ist er Ihnen zum ersten Mal im Winter aufgefallen?“
    „Das dürfte hinkommen … brauchen Sie mich noch lang? Weil … wir sind nur zu zweit da unten und …“
    „Schon klar“, winkte Schäfer ab, „das Getränk übernehme ich. Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte oder jemand, der ihn besser gekannt hat, hier ist meine Karte.“
    „Was ist mit ihm passiert?“, wollte der Sozialarbeiter noch wissen, als er schon aufgestanden war.
    „Das will ich herausfinden“, sagte Schäfer und reichte ihm die Hand. „Wenn Sie in den nächsten Tagen einmal Zeit haben, kommen Sie doch bitte am Schottenring vorbei, um uns bei der Erstellung eines Phantombilds zu helfen. Wenn ich nicht anzutreffen bin, wenden Sie sich bitte an Revierinspektorin Kovacs.“
    Nachdem er seine Notizen vervollständigt und bezahlt hatte, verließ er das Café und ging durch den ersten Bezirk zurück ins Kommissariat. Auf der Kärntner Straße kam ihm stoßweise ein eisiger Wind entgegen, der bis in die Knochen zu kriechen schien. Scheißstadt … da könnte er doch gleich auf einer Ölplattform in der Nordsee anheuern: besseres Gehalt, wenig Zeit für dumme Gedanken, kein Innenminister, kein Polizeipräsident, höchstens wettergegerbte Vorarbeiter, die andauernd herumbrüllten, aber im Grunde gutherzige Menschen waren, Schäfer, schwing deinen nichtsnutzigen Ösi-Arsch hierher, in ölverschmierten Overalls Pumpen instand halten, an riesigen Schraubenrädern drehen … vielleicht sollte er das wirklich tun.
    „Diese Stadt ist ein Narrenschiff“, sagte er beim Betreten des Büros, hängte seine Jacke auf und ließ sich in seinen Sessel fallen.
    „Wem sagen Sie das?“, erwiderte Bergmann, ohne von seiner Arbeit aufzusehen.
    „Trommeln Sie bitte die Mannschaft zusammen“, wies Schäfer ihn an, „ich möchte um sechs mit allen durchgehen, wie wir in unseren Fällen weitermachen. Effizienz, Bergmann, Effizienz!“
    Die Energie, die ihn untertags aufrecht gehalten und für ein paar Augenblicke sogar heiter gestimmt hatte, verpuffte schlagartig, als er seine Wohnung betrat. Er zog Mantel und Schuhe aus und legte sich auf die Couch. Doch er hatte Angst davor, die Augen zu schließen. Dann würde er spätestens um Mitternacht aufwachen, kaputt und deprimiert, ohne Aussicht auf Schlaf, im Fernsehprogramm verzweifelt nach Trost suchend. Wie lang ging das jetzt schon? Einen Monat? Zwei? Dass er sich regelrecht zwingen musste zu essen. Dass die immer gleichen Gedanken wie bei einem ewigen Formel-1-Rennen in seinem Kopf kreisten, ohne dass er sie aus der Bahn drängen oder ersetzen konnte. Wofür das Ganze? Nicht einmal der Alkohol funktionierte mehr; ein paar Stunden höchstens, um ihn dann noch verzweifelter zurückzulassen. Vielleicht sollte er wieder ins Büro gehen, den Gedanken ein anderes Ziel geben, sie auf die Mörder ansetzen, bis ihn die Erschöpfung in den Schlaf zwang, ein paar Stunden auf der Couch, nach zwei, drei Tagen wäre er aufgekratzt wie ein Kind vor dem Schlafengehen, ja, er konnte sich in die Manie hineinschuften, das hatte lange funktioniert, aber jetzt?
    Jetzt konnte er sich unter die Dusche stellen, besser gesagt in die Wanne setzen und das Wasser über seinen Körper laufen lassen, von lauwarm auf heiß auf kalt – nun gut, zumindest auf kühl – drehen, um etwas zu empfinden, um sich zu spüren. Es hatte nicht erst mit den Morden in Tirol angefangen, das war ihm klar. Aber damals war es ihm zumindest noch gelungen, der zunehmenden Verzweiflung und Sinnlosigkeit seine Wut, seine Körperkraft und eine Art von Galgenhumor entgegenzustellen. Da hatte er auch im Dienst noch zeitweise so etwas wie Geborgenheit verspürt. Zusammenhalt, Verständnis, Mitgefühl, was auch immer, das jetzt systematisch untergraben wurde. Von diesen Zahlenfaschisten, die sie wie Schachfiguren herumschoben. Die grinsend von frischem Wind sprachen, den sie in den Polizeiapparat brächten, während sie diesen rücksichtslos ausbluten ließen. Ordnungshüter sollten sie sein und fanden sich im Chaos, in das sie gestürzt wurden, selbst nicht mehr zurecht. Schäfer stieg aus der Wanne und trocknete sich ab. Er konnte kündigen, natürlich; aber damit würde er nur eine weitere ranghohe Stelle freimachen, die der Innenminister und der Polizeipräsident mit einem ihrer Provinzfreunde aus dem Schützenverein besetzen konnten. Da würde er lieber noch mit hochgehaltener Fahne zusammenbrechen.

5
    Am

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