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Ohrenzeugen

Titel: Ohrenzeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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ein.
    »Och, der Herr Ullrich isch doch ain ganz Netter«, beeilte sich Simon zu versichern und lächelte Lisa strahlend an.
    Dabei war Simon wohl der Einzige auf dem Revier, der Georg Ullrich auch in der Freizeit bei seinem Nachnamen nannte. Insgeheim sprachen alle von ihm als ›Schorsch‹, natürlich nur, wenn er nicht dabei war.
    »Ja, der Schorsch is scho recht«, stimmt Heiko zu. »Aber manchmal spinnt er auch, da hat der Uwe schon recht!«
    »Inwiefern?«, wollte Lisa wissen.
    »Ach, er will sich halt immer profilieren. Vorm Herrn Bürgermeister und so. Und dann heißt es, Überstunden schieben!«, informierte Uwe, der von dieser Regelung besonders oft betroffen war. »Aber im Großen und Ganzen geht er, der Schorsch!«
    »Wenn du willscht, könnet mir ja mal nach Stuttgart in die Oper«, schlug Simon vor.
    »Gern«, sagte Lisa und trank roten Wein, der hervorragend zu ihren Lippen passte.
    Heiko und Uwe wechselten einen Blick.
    »Also, ich tät au mal gern in die Oper gehen«, log Heiko.
    Nun war es Simon, der böse funkelte.
    »Ja, toll, gehen wir doch alle!«, schlug Lisa vor.
    »Also ich geh net ind Oper. Des widerstrebt meiner männlichen Natur!«, sagte Uwe nun und Simon sah Heiko auffordernd an. Der lächelte jedoch nur.
    »Also, ich bin dabei«, beharrte er und grinste frech.
     
    Lisa warf sich aufs Bett. Genau so einen Abend hatte sie mal wieder gebraucht! Drei Jungs, die hinter ihr her waren. Denn das war offensichtlich gewesen: Dass alle drei sie gut fanden, jeder auf seine Weise.
    Simon, der sie mit Kulturzeugs zugetextet hatte und dadurch kultiviert wirken wollte.
    Uwe, der durch seine Opernablehnung und mit seiner Harley besonders männlich hatte rüberkommen wollen.
    Und Heiko, der– hm, Heiko konnte sie nicht gut einschätzen. Sie hatte lediglich bemerkt, dass er versucht hatte, Simon Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Aber er war nicht wirklich, nun, definierbar, sie wusste nicht, woran sie bei ihm war. Dass Uwe ein Rocker war oder es zumindest sein wollte, war klar, und auch Simon hatte offensichtlich die Rolle des sensiblen Softies gespielt.
    Nur Heiko– schwierig!
    Er hatte nichts gespielt, er war er selbst gewesen. Aber wie war er? Cool? Männlich? Soft? Ein Macho?
    Wenn sie manchmal zusammen unterwegs waren, hatte man den Eindruck, er sei ein grober Klotz, ein ungebildeter Bauernlümmel, ja, so würde ihre Mutter es sagen.
    Instinktiv griff sie zum Handy und kontrollierte ihren SMS-Eingang. Ob eine von Stefan dabei war.
    Sie schüttelte langsam den Kopf. Das musste sie sich nun endlich abgewöhnen. Sie wollte auch eigentlich gar nichts mehr von ihm. Das war vorbei. Die pure Gewohnheit.
    Ihre Mutter mochte Stefan. Aber sie würde ihm keine zweite Chance geben. Jetzt nicht und auch nicht irgendwann. Trotzdem fühlte sie sich noch nicht bereit für etwas Neues. Nicht mit Uwe, nicht mit Heiko und auch nicht mit Simon. Mit gar niemandem. Aber solange ihr keiner einen Zettel zustecken würde, auf dem »Willst du mit mir gehen?« stand, konnte sie die Avancen der Jungs ja ruhig genießen.
     
    Karl Weidner war unruhig. Er musste etwas tun, irgendetwas. Er würde ein Buch lesen. Ja, ein Buch, das hatte er schon so lange nicht mehr gemacht. Und eigentlich war Bücherlesen auch gar nicht sein Ding. Aber jetzt, jetzt würde es ihn beruhigen. Ihn ablenken.
    Er schaltete die Stehlampe ein, die ihm ausreichend Licht spendete. Mitten in der Nacht ablenken, weil er nicht schlafen konnte, und dann würde er schlafen können, jawohl.
    Bücher konnten einen in eine andere Welt versetzen, sagte Max immer. Und das war genau das, was er jetzt gebrauchen konnte.
    Der Tod seines Vaters machte ihm nämlich doch mehr zu schaffen, als er gedacht hatte.
    Überall sah er seinen Vater, hörte seine Fußtritte im Haus. Er hörte ein Scharren im Stall und meinte, sein Vater wäre da.
    Minutenlang hielt er dann inne und lauschte, um endlich kopfschüttelnd festzustellen, dass er sich getäuscht haben musste. Unheimlich war das, unheimlich. Nichts für ihn.
    Er stand vor dem Bücherregal und neigte den Kopf, um die Buchrücken lesen zu können. ›Romeo und Julia‹ stand da. ›Onkel Toms Hütte‹. Dann die Bibel. Schon hatte er die Hand nach dem Heiligen Buch ausgestreckt, dann schüttelte er den Kopf. Er wollte vergessen und sich nicht noch mehr mit seiner Trauer befassen.
    Karl schloss die Augen. Er ließ die Fingerkuppen schnell über die Buchrücken gleiten. Seine Fingerspitzen hüpften auf und ab. Dann

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