Okarina: Roman (German Edition)
kein halber, sondern ein eiserner war, und kam nicht wieder.
Sie war noch nicht lange verschwunden – zu lange, um an ihre Rückkehr zu glauben, zu kurz, um sie vergessen zu haben, wozu, was mich angeht, die längste Weile nicht langen wird –, als Gabriel Flair mir riet, bei seinem PritschenkumpelNiklas solch Elend wie Kommunikation und Information zu studieren. Auf Partisanenart im Schnell- und Fernkurs, wie es zu diesen Künsten paßte. Ich willigte nicht gleich ein, obwohl ich am Haken saß, weil der Große Dramaturg die Fächer als ungeliebt und ihren Lehrer als unbeliebt beschrieben hatte. Unbeliebt, aber seither herzlich geliebt und beredt geschützt von einem, der von Flair und Niklas gefüttert worden war, als sich beide tief unten befanden. Weil ich zögerte, sagte Flair, ganz recht; wo es um mein weiteres Leben gehe, solle ich den Rest der Zelle fragen.
Also Ronald. Wenn wen, dann Ronald Slickmann, der in vielem meinesgleichen war. Davon konnte ich dem Dichter nicht reden, der, komisch genug, unter seiner Herkunft litt. Für mich war es komisch, weil ich nicht sah, was es in diesem Punkt zu leiden gab. Ich hätte nie einen anderen Vater haben wollen, aber einer wie der von Gabriel Flair wäre mir manchmal recht gewesen. Einer, dem es zur Grundausstattung seiner Kinder zählte, daß sie Ponys reiten und Polo spielen konnten. Einen, der den Seinen bei Tisch erklärte, die alsterquerende Lombardsbrücke habe leider nur mit Lombardsatz und Pfandhaus zu tun. Und leider nicht mit einem hugenottisch-preußischen Staatsmann, den unsere allerliebste Königin Luise einsperren ließ, weil sie dem armen Kerl die Jena-Schlappe gegen Napoleon anlastete. – »Ein Vater, der alles wußte und seinen Kindern mit jeder Auskunft neue Rätsel aufgab, wäre nicht schlecht gewesen«, sagte ich mit Ronalds Redensart, und er stimmte zu.
Ich nehme den Faden, der mich mit Flair und Slickmann und dem Fernstudium bei Professor Niklas verknüpft, gleich wieder auf, muß vorher aber an die Alster-Szene des Anfangs rühren. Vielmals fragte ich, was mich, der ich meinen Plänen meist treu bin, zu jenem radikalen Kurswechsel veranlaßt habe, und einmal lautete die Antwort: Du könntest dem Nennenswerten nachgejagt sein, von dem du manchmal sprichst. Ja, könnte ich. Es erklärte, warum ich die dringende Fahrt von Berlin nach Mecklenburg-Strelitz fast ins luxuriöse Gegenteil verkehrte, indem ich statt an die obere Havel an die untere Alster reiste, kaum hatte das Radio vom Fest auf dem Flußsee inHamburg erzählt und Bilder aufgerufen, die zu Anfang oder Ende meines Erinnerns gehörten. Ich beklage mich nicht, sage aber, schlittschuhwalzerbeschwingt ging es nicht immer her. Streckenweise blieb von den Elementen des Auftakts kaum mehr als der Frost. Zumal ich danach fast nur noch von Amts und Gerichts wegen in die Alsterstadt kam.
Dennoch machte ich immer wieder an dem fernen frühen Punkt mein Leben fest. So daß ich, wo es in gewisser Weise um dieses geht, auch dann dort Zuflucht suche, wenn wir milderes Wetter haben. Gegen alle wasserpolizeiliche Vorschrift liege ich zwischen Butenalster und Binnenalster unter der Lombardsbrücke vertäut oder lasse den Stakhaken die Verbindung zwischen Kahn und Festland sein. Es ist ein nur gedachter Platz und doch der stabilste von allen. Eben weil ein mythischer Ort. Wodurch sich erklärt, warum ich beim winterlichen Wittstock meine Sorge um die frostbedrohte Hütte in den kalten Wind schlug und meinem Karren Westkurs befahl, obwohl sich einer nach Osten empfohlen hätte. Auch ums Eisfest ist es gegangen, auch um das Spiel, doch vor allem hieß Obhut, nein, Zugehörigkeit, nein, Aufnahme, nein, Annahme, nein, Einigung, nein, um alles in der Welt, Vereinigung das Ziel. Meine Wiedervereinigung mit den nördlich westlichen Menschen, von denen ich einmal einer war.
So sehr blieb ich es, daß mich in unpassendsten Augenblicken nach ihnen verlangte und ich mich inmitten jäher Sturzkurven der Parteigeschichte oder in den Kampfstürmen unserer Zeit nach der Stille zwischen Uhlenhorst und dem sogenannten Pöseldorf sehnte. Aus wohlverwahrten Abonnementsbeständen hätte ich den ungelesensten Jahrgang vom Theorieorgan Einheit hergeschenkt für eine seelenstärkende Stunde, in der ich, darin – welch loser Traum eines Schriftgewerbetreibenden und Loseblattredaktors – dem Quedlin- und Hamburger Dichtersmann Klopstock ähnlich, Kufe an Kufe mit meinem see- wie eisbefahrenen Brudervolk über versiegelte
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